piwik no script img

Wand und BodenBiker in Babyspeck

■ Kunst in Berlin jetzt: v. d. Linden, Rand, Borland, Hirai, Kepenek

Die Kinder der Nachbarschaft haben ihren Spaß an dem Video, das aus der Rupert Goldsworthy Gallery auf die Straße flimmert. Denn zunächst sieht die Arbeit von S. M. v. d. Linden wie ein sehr poppiger Comic aus: Einfache, am Computer animierte Figuren tanzen nackt auf der Stelle, verrenken sich ein bißchen und explodieren regenbogenfarben. Dazu leuchten kurz Slogans in smashigen Disco-Schriften auf, „Non-Stop“ oder „Deluxe“ oder „Pour Hommes“. Begleitet wird das ganze von monotonen Club-Beats, die nach einer Viertelstunde recht hypnotisch klackern. „MegaFlittchen“ ist ein Zeichentrick-Pendant zum Sound des Easy Listening, den v. d. Linden mit Leitmotiven aus Sex-Debatten (gender-bending, Dekonstruktion) mischt. Ständig spielt die Figur an ihrem Geschlecht, ein Griff in den Schritt genügt, um aus der Klitoris flugs einen Phallus wachsen zu lassen, der ebenso rasch mit einem Peng! wieder verschwindet. Durch den Soundtrack bekommt dieser fröhlich gehaltene Postfeminismus die Qualität einer House-Party, während man sich bei den simplen Umrissen von Männlein, Weiblein, Menschlein unwillkürlich an die harte Aufklärungsarbeit der Sesamstraße erinnert. Außer der Video-Installation hängen noch elf Aktportraits von John Rand in der Galerie, der in den USA als Spezialist für erotische Fotografie gilt. Sein Motiv sind „Bear Men“, dicke Männer um die Fünfzig mit grauen Rauschebärten. Ihre Ausstrahlung ist verblüffend sexy, ohne in eine gewisse Exotik abzukippen, die man bei immerhin 120 Kilo Lebendgewicht vermuten würde. Statt dessen fühlt man sich von netten Deadheads und Bikern umgeben, deren massige Körper ohne Ledermontur wie in zarten Babyspeck gehüllt wirken.

Bis 24. 2., Do./Fr. 14–19, Sa. 12–15 Uhr, Brunnenstraße 44

Christine Borland hat ein Gerippe auf Glasscheiben ausgelegt und mit einer Art Gips bestreut. Dann wurden die einzelnen Knochen wieder abgenommen, so daß lediglich ihr Umriß als negatives Abbild im weißen Staub zurückblieb. Nun sind diese Glasträger entlang der Wände verteilt im 2. Stock der Kunst-Werke ausgestellt. Sie hängen in bald drei Meter Höhe und werden von Punktstrahlern ausgeleuchtet. Ihre Zeichnung dominiert, die Dichte der Staubdecke kann man aus der Unterperspektive nicht erkennen. Dadurch wird die konkrete Anatomie noch mehr verfremdet. Der Körper als Schrift, die sich aus der Entzifferung der einzelnen Buchstaben ergibt. Wer alle zum Knochen-Puzzle gehörenden Teile findet und Wirbelsäule, Hüfte und Brustbein zusammenzählen kann, bekommt am Ende eine Frau heraus: „Female Asian 5ft 2in Tall (at least one advanced pregnancy).“ Erst über den Umweg der Abstraktion kann man den Menschen rekonstruieren. Fast scheint es, als wäre „From Life, Berlin“ eine Kurzfassung von Foucaults „Ordnung der Dinge“. Doch die 1965 geborene Künstlerin aus Glasgow geht mit ihrer minimalistischen Raum-Installation zum Wissenschaftsmodell auf Distanz. Das vollständige Bild bleibt unsichtbar, ein Labyrinth, dessen Architektur sich nur imaginär komplettieren läßt – sonst würde schon beim ersten Zugriff der Staub verwischen, und nichts bliebe davon übrig.

Bis 25. 2., Di.–So. 14–18 Uhr, Auguststraße 69.

Die handflächengroßen Puppen von Yu Hirai sind ebenfalls aus Gips, ihre fein zu Röllchen gekneteten Kleider streben spiralenförmig auseinander. Senkrecht zur Wand in der Galerie A. von Scholz befestigt, balancieren sie so zwischen Figur und Fläche, und werden erst aus der Nähe als Skulpturen erkennbar. Diese Art, mit den räumlichen Verhältnissen zu spielen, steht bei Yu Hirais Foto- und Gips- Arbeiten im Zentrum: „Beobachtete beobachten“ stellt die Perspektive der Objekte mit der des Ausstellungsbesuchers auf eine Stufe. Besonders ihre theaterhaft inszenierten Fotos entwickeln solch ein Eigenleben. Eine Ballerina taucht dort zwischen Gegenständen auf, die in der extremen Vergrößerung des Nahbereichs wiederum verschwimmen; ein Miniatur-Polizist aus dem Faller-Baukasten hat sich im Maschenzaun verheddert, der sich allerdings endlos weit vom Geschehen entfernt in einer tiefen Unschärfe auflöst. Die Übergänge zwischen konkretem Ort und künstlicher Landschaft werden fließend, die Proportionen lösen sich auf. Ähnlich wie bei den Leichenfotos von Andres Serrano sind aus diesem Blickwinkel Dokument und Fiktion kaum mehr zu unterscheiden. Für die in Brüssel lebende Yu Hirai ist damit schon ein großer Schritt in die richtige Wahrnehmung getan.

Bis 25. 2., Mi.–So. 14–19 Uhr, Bergstraße 22

Die Akteure, mit denen der Berliner Jungfotograf Ali Kepenek arbeitet, sind alle echt. Was jedoch nichts über die Künstlichkeit der Arrangements besagt: Thalbach-Tochter Anna krümmt sich in blauschwarzen Gewändern voller Verzweiflung zwischen Sitzreihen, Ute Lemper kauert auf weißen Lacklederpantoletten an einem Stuhlbein, Familie Sander liegt tot im Ehebett. Kepenek nennt seine Fotoinstallation „Deutsche-Schauspieler-Zyklus I“. Mit Installation sind vermutlich Großformatigkeit der Bilder und Art der Rahmung gemeint, die Portraits wurden in geschliffenem Stahl eingefaßt. Prominenz als Konzept trägt dagegen nicht sehr weit. Zu mager ist das Repertoire aus bedeutungsvollem Grinsen, Zagen und Jammern, das die Beteiligten vor Kepeneks Kamera aufführen. Sophie Rois grapscht nach einem unbekleideten Mann und blickt stechapfeläugig wie 1.000 Jahre Volksbühne. Egal, der „ravenden Gesellschaft“ zur Eröffnung gefiel es. Bislang war Kepenek Türsteher im E-Werk.

Bis 17. 2., Di.–Fr. 11–18, Sa. 10–14 Uhr, Großbeerenstr. 36 Harald Fricke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen