Wand und Boden: Dickenbilder in 3 D
■ Kunst in Berlin jetzt: Matthias Kühnels „Photographie?“, „Holographic Network“, John Miller
Glückliche Menschen machen Fehler. Vielleicht war's das Wetter, der Urlaub oder simpler Britpopwahnsinn, jedenfalls tauchte vor zwei Wochen an dieser Stelle ein gewisser Ross Sinclair zweimal in der Künstlerliste zur Allgirls-Show auf. Dabei hieß der Mensch, dessen „Holiday Paintings“ säuberlich abgemalte Werbeschilder für Billigflüge zeigen, Jonathan Monk. Und der wiederum hat tatsächlich einen Statisten in der Krankenhausszene aus „Trainspotting“ gespielt.
Bei Matthias Kühnel wenigstens ist alles überschaubar, die Vita wurde mit in die Ausstellung bei PPS gehängt, gleich neben das Foto von Bundeswehrstiefeln, die einen Leuchtglobus drohend durch die Gegend bolzen. Kühnel, 1966 in Leverkusen geboren, arbeitet als Werbefotograf „in den Bereichen Food, Auto, Mode und Still-live“.
Außerdem erfährt man, daß sich „auch auf den zweiten Blick noch viele Dinge entdecken lassen“, denn Kühnel schnippelt seine Montagen mal im Labor, mal am Computer zusammen. Ein paar Meter weiter nur trampeln prompt Bergsteigerschuhe über eine Frauenhand, die – mit unangenehm rot lackierten Fingernägeln eine angebissene Banane haltend – aus dem Kopfsteinpflaster wächst.
Das Ganze läuft unter dem Motto „Photographie?“, und dieses Fragezeichen ist berechtigt: Es geht mehr ums Herumpuzzeln mit schrägen New-Wave-Witzen als um die Arbeit am Motiv. Die Bilder kennt man von Postkartenständern alt-alternativer Buchläden, die sich spät auf Zeitgeist spezialisiert haben: In allerlei Stellungen sieht man einen silbernen Jesus per Kondom gekreuzigt oder vom Dreimeterbrett ins Schwimmbassin flattern; anderswo baumelt jemand mit den Füßen zwischen Ringwürsten und Salamis; auch werden Masken, Federn und Papyrusstreifen zu Allegorien auf Schreibwarenartikel verbunden. Interessant ist dabei, mit welchem Gleichmut Kühnel jede Scheußlichkeit behandelt, aus der er den Gebrauchs- Fun montiert. Im Frohsinn solcher Warenästhetik wirkt selbst die blümchengefüllte Glühbirne zart wie ein surreales Objekt.
Bis 27.9., Mo.–Fr. 8–21, Sa./So. 10–18 Uhr, Hirtenstraße 19, Alexanderplatz
Auf der Pressekonferenz zu „Holographic Network“ in der Akademie der Künste war viel von den Mysterien der Technik die Rede. Unendlich verfeinerbar sei das Spiel mit den Brechungen von Licht und Fläche, das könne man an jedem Wassertropfen sehen, der im Sonnenschein schimmert. In der Ausstellung tropft es nun alle paar Sekunden einmal still bei Sally Weber. Ihre Installation heißt „Treshold of Singularity – a Memorial“ und ist entsprechend puristisch mit einem Punktstrahler ausgeleuchtet, der den ganzen Zirkus aus buntem Flächengewaber in Gang setzt.
Möglicherweise hätte diese eine Holographie genügt. Doch die Arbeit am Phänomen wiederholt sich in mehreren Dutzend Nischen, Kojen und Hängekonstruktionen. Stets wird das Licht auf vorpräparierten Platten nach Laserschnitten zerlegt und in diversen Mustern in den Raum geworfen. Selbst im Garten stehen silbern beschichtete Pfähle an Springbrunnen oder Bäume gelehnt und flimmern spektralfarben, was das Zeug hält. Salvador Dali wird mit einem Multiplexhologramm präsentiert, das ihn und seine Gattin in einem 360-Grad-Filmstill zeigt. Staunend nimmt man auch zur Kenntnis, daß sich für Dieter Jungs „Bibi bei Bob“ die Buchstaben auf der Fläche drehen. Wenn der Effekt langweilig wird, geht man eben zum nächsten Objekt, schaut sich Harriet Casdin-Silvers „Venus of Willendorf“ an (eine Hommage an Lucien Freuds Dickenbilder in 3 D) oder läßt sich von Ikuo Nakamuras Brain- Machine nach Art echter Old- School-Trance einlullen.
Für den Umgang mit Op-art haben die Organisatoren sich einen Haufen Theorie zurechtgelegt, der per Internet abrufbar ist (http://www.holonet.khm.de). Warhol, Enzensberger und Baudrillard kommen zu Wort, schließlich geht es um Serien, Medien, Simulationen: „Das holografische Bild ist eine reine Erscheinung, geboren aus den Schwingungsstrukturen des ,leeren‘ Raums, die sich in der Provokation des Lichts manifestiert. Das holografische Bild antwortet damit auf die Schwingungsstruktur unserer Bewußtseinstätigkeit“, hatte Eberhard Roters bereits 1982 resümiert. Klickt man daraufhin ein Bild an, erscheint statt der versprochenen rätselhaften Bewußtseinslandschaften nur ein wirres Pixelraster. Die Beispiele funktionieren am Bildschirm nicht. Daß der Raum im Netz bloß immateriell aus Zeichen gebaut ist, hätten sich die Macher von „Holographic Art“ eigentlich denken können.
Bis 13.10., Di.–So. 10–19, Mo. 13–19 Uhr, Hanseatenweg 10; bis 13.10., Mi.–Mo. 10–17 Uhr, Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14
Als erstes fällt einem die Stimmung auf. Das weiche Licht auf den Bilder von John Miller strahlt mild und leicht bedrogt, wie man es eben in Gegenden zwischen Santa Fé, New Mexico, und Tucson, Arizona, erwarten würde. Neben der psychedelischen Farbgebung ist auch die visuelle Dichte der acht Gemälde befremdlich: Kein Motiv besitzt eine räumliche Tiefe, zugleich bleibt auch nichts aufgeladen als Oberfläche haften. Alles erscheint transparent, weiß gelöchert bis zur Grundierung und doch merkwürdig verschlossen von cremigen Rot- und Erdtönen.
Die versunkene Hermetik paßt zu den Wüstenstreifen des Südwestens, die Miller nach Vorlagen aus Bildbänden über die Besiedelung der USA gemalt hat. Seine „Hommage an Karl May“ ist eine Serie aus Landschaftsbildern irgendwo zwischen Sergio Leones Western und Beat-Moderne, Felsendörfer, Staudämme, alte Gräber und indianische Folklore inklusive. Dabei steht die Suche nach „God's Country“ im Zentrum: Seit den Quäkern waren Emigranten aus Europa vor der Dekadenz in die Neue Welt geflüchtet, um als sektenartige Großfamilien zusammenzuleben. Der Mythos hielt bis in die Zeit der Hippies, die auf dem Land erstaunlich militante und streng organisierte Kommunen bildeten. Selbst in Jerry Rubins Buch „Do it!“ posen bewaffnete Freakpärchen mit Kind, die Übergänge von Mansons Family zu Koreshs Davidianern sind fließend. Auf Millers Arbeiten sieht man, was von diesen Spuren übrigblieb, allerdings von einem touristischen Allover glatt gebügelt. Im Death Valley hausen heute die Camper und üben sich urlaubsmäßig im Überlebenstraining.
Bis 21.9., Galerie Barbara Weiss, Potsdamer Straße 93 Harald Fricke
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