Waldschutzabkommen in der Kritik: Die Kettensägen-Konvention
Wer mag keine Bäume? Aber beim derzeit verhandelten Waldschutzabkommen geht es statt um Schönheit, Erholung und Natur um wirtschaftlichen Nutzen.
BERLIN taz | Das gibt es nicht alle Tage: eine völkerrechtlich verbindliche Konvention zum Schutz der Wälder, die von Umweltgruppen als „Verschwendung von Steuergeld“ bezeichnet wird. Aber noch bis zum morgigen Freitag wird im russischen Petersburg über die Europäische Waldkonvention verhandelt, vorangetrieben von den Industriestaaten der nördlichen Halbkugel, lautstark kritisiert von Umweltschützern und Experten.
Und der Öko-Musterknabe Deutschland unterstützt diese „Kettensägen-Konvention“, wie Ökos schimpfen, weil sich Berlin als Finanzier und Gastland für das Sekretariat der Konvention in Bonn anbietet.
Die Delegationen der Staaten sitzen in Petersburg mit UN-Organisationen wie der Welternährungsorganisation FAO zusammen, um ein Projekt zu verabschieden, das schon seit Jahrzehnten betreiben wird: Eine „Europäische Waldkonvention“, die die Pflege, Bewirtschaftung und den Schutz der Wälder regeln soll.
Die Holzindustrie beschäftigt 150.000 Menschen
Immerhin sind 38 Prozent der Fläche in den Ländern der Nordhalbkugel mit Wald bedeckt, insgesamt 1,7 Milliarden Hektar. Die Holzindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, allein in Deutschland setzte sie 2011 etwa 33 Milliarden Euro um und beschäftigt 150.000 Menschen.
Im Sommer soll die umstrittene Konvention unterschriftsreif sein. Laut Vertragsentwurf soll das Abkommen die internationale Zusammenarbeit erleichtern und „die Rolle der Forste und der Forstwirtschaft bei der Lösung globaler Probleme sichern“. Ziel sei es zudem, die „nachhaltige Entwicklung und Multifunktionalität“ der Wälder zu sichern, Schutzprogramme zu koordinieren und ihren „ökologischen, sozialen und kulturellen Nutzen für die Gesellschaft zu fördern“.
Alles nicht verkehrt, sagt Martin Kaiser, Wald- und Klimaexperte von Greenpeace, aber unnötig: „Der Schutz, die Nutzung und die Beteiligung der lokalen Bevölkerung von Wäldern ist in der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt (CBD) geregelt.“ Hier solle eine neue Konvention geschaffen werden, „die keine Regelungslücke schließt, sondern die CBD aushebeln soll“.
Gebraucht würden naturnahe Wälder ohne Pestizide
Denn diese UN-Konvention fordert eine andere Waldpolitik: Naturnahe Wälder, zehn Prozent Schutzgebiete, kein Pestizideinsatz. „Das widerspricht den Interessen der Waldwirtschaft, die derzeit massiv nach Osteuropa und Russland drängt“, sagt Kaiser. Die „Waldkonvention“ solle daher vor allem den Interessen der Holzindustrie dienen.
Auch Helmut Röscheisen vom Dachverband der deutschen Umweltverbände DNR kritisiert, in der Konvention fielen die Staaten hinter ihre eigenen Beschlüsse zum Waldschutz zurück. Ein Protestbrief der europäischen Ökoverbände warnt denn auch, im Vertragstext fehle der Begriff „Artenvielfalt in wichtigen Passagen“ und es gebe „keine Indikatoren zur Überwachung der Resultate“. Die Schlüsselfragen zum Mehrwert des Abkommens blieben „weiterhin offen“.
Und auch in der UN regt sich Widerstand. Der Konventionstext sei in wichtigen Passagen unklar, vermeide eindeutige Regeln für alle Mitglieder und stelle die Artenvielfalt hinter die forstwirtschaftlichen Nutzung zurück, heißt es intern. Das UN-Umweltprogramm Unep ist an den Verhandlungen nicht beteiligt.
Das Bundesministerium für Landwirtschaft, das die deutsche Delegation anführt, sieht die Lage anders: „Deutschland setzt sich für ein starkes Abkommen mit Mehrwert zur Sicherung einer multifunktionalen und nachhaltigen Waldbewirtschaftung in Europa ein, das auch Signalwirkung für die globale Ebene entfalten kann“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Bei den Verhandlungen könnten Umweltgruppen und Waldbesitzer als Bobachter „ihren Einfluss direkt auf die Delegationen geltend machen“. Die deutsche Position sei mit Umweltminister Peter Altmaier (CDU) abgestimmt.
Spezielle Interessen der Stadt Bonn
Den hatten die deutschen Ökogruppen noch dringend aufgefordert, seine Zustimmung im Kabinett zu verweigern – was er nicht tat. Zu einer Stellungnahme dazu sah sich das Umweltministerium bis Redaktionsschluss nicht in der Lage.
Dass die Deutschen die umstrittene Waldkonvention hegen und pflegen, hat aber noch andere Gründe: Die Bundesregierung bemüht sich um den Sitz des Sekretariats der Konvention in Bonn. Hinter den Kulissen haben die Deutschen angeboten, dort für zehn Jahre fünf Stellen zu finanzieren.
Einem hohen Beamten aus dem Landwirtschaftsministerium werden Ambitionen auf den Job als Leiter des Sekretariats nachgesagt. Eine solche Ansiedlung sollte Bonns Ruf als „Stadt der Vereinten Nationen“ weiter festigen, wo bisher etwa 20 UN-Organisationen sitzen, darunter die Sekretariate für Klima und Wüstenbildung.
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