■ Waigels Haushaltspolitik stolpert von Loch zu Loch: Hase und Igel
Am Beginn des politischen Herbstes steht ein deprimierender Kassensturz. Unbeeindruckt von Waigels Versuch, das im Frühjahr entdeckte Haushaltsloch zu stopfen, offenbaren sich neue Verluste bei den Steuereinnahmen. Dem angesichts dieser Daten verständlicherweise amtsmüden Finanzminister fehlen offenbar weitere 10 Mrd. Mark. Wieder einmal wird – gegen alle erklärten Absichten – eine höhere Neuverschuldung als schneller Lückenbüßer herhalten müssen. So geht es Waigel wie im Märchen von Hase und Igel – das nächste Haushaltsloch ist immer schon da.
Eine Hochrechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt: Die geplante Neuverschuldung des Bundes wird sich von ursprünglich 53 Mrd. am Jahresende auf über 83 Mrd. Mark hochschrauben – und das ausgerechnet im Jahr, in dem über die Euro-Teilnahme entschieden wird.
Waigels Politik weist mittlerweile tragische Züge auf. Trotz des verzweifelten Versuchs, die Neuverschuldung mit Blick auf Maastricht treu bei 3,0 Prozent zu halten, treiben immer neue Haushaltslöcher die Staatsverschuldung nach oben. Die öffentliche Einsparpolitik verschärft die tiefgreifende ökonomische Krise. Gestrichene Staatsausgaben fehlen der Wirtschaft als Einnahmen. Binnenwirtschaftliche Schwäche und steigende Arbeitslosigkeit sind die Folge. Allein 1997 wird der Rückgang der öffentlichen Einnahmen durch Wachstums- und Beschäftigungsverluste auf 50 Mrd. Mark geschätzt.
Aber auch Waigels Steuerpolitik belastet die Haushalte. Während Unternehmen ihre Steuervorteile munter nutzen, um ihre Steuerbelastung gen Null zurückzufahren, leiden die öffentlichen Haushalte Not.
Was tun? Erstens muß endlich auf Kürzungen der öffentlichen Ausgaben zur Senkung der Neuverschuldung verzichtet werden. Nur so kann der Circulus vitiosus zwischen Ausgabenkürzungen, Wirtschaftsschwächung, Einnahmeverlusten und steigender Staatsverschuldung durchbrochen werden. Zweitens fehlt es, gerade aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, an Steuergerechtigkeit. Die nach unten geschraubte Steuerbelastung vor allem der Großunternehmen muß rückgängig gemacht werden. Und schließlich zwingt die fiskalische Krise endgültig zum Verzicht auf eine Steuerreform, die vor allem die Vermögenden begünstigt. Eine Steuerreform, die mehr Gerechtigkeit schafft, ohne den öffentlichen Haushalten noch mehr Geld zu entziehen – das ist das Gebot der Stunde. Rudolf Hickel
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