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Waigel: Schulden ja, Steuerhöhung jein

■ Finanzminister will hauptsächlich an Berlin, dem Zonenrand und der Verteidigung sparen/ Vorstellung des Nachtragshaushalts/ SPD spricht von „Chaos-Kurs“/ Schulden 1990 über eine Billion

Bonn (dpa/ap) — Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) will vom kommenden Jahr an den Verteidigungsetat erheblich kürzen und zugleich mit dem Abbau der teilungsbedingten Kosten für den Zonenrand und Berlin beginnen. Dies erkärte Waigel nach den Beratungen des Bundeskabinetts über den dritten Nachtragshaushalt 1990.

Angesichts der riesigen Neuverschuldung hat Waigel erneut versichert, er wolle Steuererhöhungen zur Finanzierung der deutschen Einheit mit allen Anstrengungen vermeiden, wolle aber höhere Steuern für andere Zwecke aber nicht ausdrücklich ausschließen. Man solle die „Ausschlußfrage“ auf die deutsche Einheit begrenzen. Niemand könne die Entwicklung am Golf heute abschätzen.

Waigel kündigte an, die Bundesregierung werde für die kommenden Jahre ein Finanzkonzept entwickeln, daß auf „eine deutliche Rückführung“ des zusätzlichen Kreditbedarfs ausgerichtet sei. Mit dem Nachtragshaushalt steigen die neuen Schulden des Bundes auf knapp 67 Milliarden Mark.

Unverzüglich nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik in der kommenden Woche werde die Bundesregierung eine gesamtdeutsche Haushaltskonzeption in Form eines Eckwertebeschlusses verabschieden, sagte der Minister. Wenn alle Anstrengungen unternommen würden, werde es möglich sein, „mit Umschichtungen, mit Einsparungen und einer begrenzten Inanspruchnahme des Kapitalmarktes Steuererhöhungen zur Finanzierung der deutschen Einheit zu verhindern“, sagte der CSU-Politiker. Der Nachtragshaushalt soll am kommenden Freitag von der gesamtdeutschen Regierung verabschiedet werden.

Die SPD hat den Entwurf scharf verurteilt und Bundesfinanzminister Theo Waigel vorgeworfen, absehbare Risiken zu verschleiern und eine „ungehemmte Schuldenpolitik“ zu betreiben. Der Finanzexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, erklärte, das Zahlenbild des Nachtrags sei dramatisch. Die Neuverschuldung des Bundes steige auf den Rekordwert von 66,8 Milliarden und die Verschuldung aller öffentlicher Haushalte explodiere auf 124,8 Milliarden Mark. Mit einer gigantisch ansteigenden Zinsbelastung steuerten die öffentlichen Haushalte direkt in die finanzpolitische Sackgasse. „Bei Fortsetzung dieses gefährlichen Kurses werden massive Steuererhöhungen nach der Wahl unausweichlich sein“, sagte Struck. Er warf Waigel einen „finanzpolitischen Chaos-Kurs“ vor, der wirtschafts-, haushalts- und sozialpolitisch nicht mehr tragfähig sei. Er verwies darauf, daß die verfassungsrechtliche Schuldengrenze bei einer Neuverschuldung von 66,8 Milliarden Mark gegenüber Investitionen von 46,1 Milliarden Mark erheblich überschritten werde.

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