Wahlkampfauftakt in Niedersachsen: Piraten kämpfen mit sich selbst
Der ungelöste Streit auf Bundesebene zerhagelt den Auftakt für Niedersachsen-Wahlkampf. In Celle beim Landesparteitag machen die Piraten das Beste draus.
CELLE taz | Die große Depression. Diesen Eindruck vermittelt die Piratenpartei nach dem Rückzugs ihres Bundesvorstandsmitglieds Julia Schramm und der angedrohten Aufgabe ihres Kollegen Matthias Schrade am Freitag. Der Streit über den politischen Geschäftsführer Johannes Ponader trägt noch dazu bei.
Ein einzelnes oranges Piraten-Fähnchen wehte am Wochenende verloren an den Fahnenmasten vor der Congress Union Halle im niedersächsischen Celle. Hier wollten die Piraten mit einem Programmparteitag den Auftakt zum Wahlkampf für die Landtagswahl im Januar machen.
Von Aufbruch ist dann allerdings wenig zu spüren. Die Partei wirkt müde und ausgelaugt. Nur rund 150 PiratInnen waren gekommen, ganze Reihen blieben leer. Das war bei Parteitagen in Niedersachsen vor wenigen Monaten noch anders, damals reisten doppelt so viele PiratInnen an. Für das Treffen in Celle hatten sich die Organisatoren vorgenommen, über Themen statt über Köpfe zu debattieren. Einzuhalten war das nicht.
Ärger über Alleingänge
Bis Sonntagabend schafften sie es zwar, ein Wahlprogramm zu verabschieden. Aber der Zwist im Bundesvorstand sorgte immer wieder für Unruhe. Piraten-Bundeschef Bernd Schlömer, eingeplant für Sonntag, traf überraschend schon am Samstag ein.
Vorstandsmitglied Schrade hatte seinen angedrohten Rückzug ausdrücklich mit Ärger um den politischen Geschäftsführer Ponader und mit dessen Alleingängen begründet. Wenn sich daran nichts ändere, wolle er beim Bundesparteitag im November den Hut nehmen.
In seiner Rede am Sonntag ging Bundeschef Schlömer auf die Personalkrise ein: Es sei „an der Zeit innezuhalten, nachzudenken und durchzuatmen“, sagte er. Zuvor hatte er zu Fragen nach einem Rücktritt des umstrittenen Ponader erklärt, „der Ball liegt im Feld von Johannes Ponader“. Seine Empfehlungen und Hinweise würden Ponader aber nicht erreichen.
Man wollte ihn nicht dabeihaben
Der, von dem die Rede war, saß unterdes still im Publikum. Einen Rücktritt hatte er zuvor ausgeschlossen, Kritik wolle er aber umsetzen, sagte er. Allerdings war er trotz mehrfacher Bitten von Niedersachsen-Piraten fernzubleiben nach Celle gekommen.
Angesichts dieser Situation sagte Landtagsspitzenkandidat Meinhart Ramaswamy: „Wir müssen Ruhe reinkriegen.“ Der Bundesvorstand müsse zu einer „arbeitsfähigen Form“ finden. „Wenn der komplette Bundesvorstand gegen ihn ist, muss er sehen, ob er das Amt noch ausführen kann, und an die Partei denken“, erklärte Landeschef Andreas Neugebauer zu Ponader.
Die Piraten wollen bei der Landtagswahl im Januar in das fünfte Landesparlament in Folge einziehen. Ob sie das schaffen, scheint fraglich: In Umfragen sind sie in Niedersachsen von einst 8 auf zuletzt 4 Prozent gefallen. Zeitlich sind sie im Verzug – das jetzt verabschiedete Programm hätte längst stehen sollen. Aber die Aufstellung der LandtagskandidatInnen zog sich monatelang hin, einzelne Mitglieder fochten das Verfahren immer wieder an.
Keine einzelnen Spinner
Auch die inhaltlichen Querelen und „Störfeuer Einzelner“, wie man es parteiintern formuliert, reißen nicht ab. Einen Antrag, Adolf Hitlers „Mein Kampf“ zur Pflichtlektüre an Schulen zu machen, lehnte der Parteitag gleich zu Beginn am Samstag einstimmig ab. Stattdessen verabschiedeten sie einen Appell gegen rechts. „Wir sind nicht bereit hinzunehmen, dass unsere Außendarstellung von einzelnen Spinnern geprägt wird“, erklärte Landeschef Neugebauer. Der Antragsteller war zuvor bereits mit ähnlichen Forderungen aufgefallen. Nun läuft ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn.
Am Wahlziel 6 Prozent hielten die Niedersachsen-Piraten am Wochenende offiziell fest. „Die Stimmung ist gut“, versichert Landeschef Neugebauer trotz allem. „Schaffen wir den Einzug in den Landtag nicht, wäre das ärgerlich, aber auch nicht das Ende der Piratenpartei“, erklärt er zugleich vorsorglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe