Wahlkampf: Frank-Walter, schau auf diese Stadt

Wenn Frank-Walter Steinmeier bei seiner Deutschlandtour bei den Berliner Genossen vorbeischaut, sollte er genau hingucken. Bei Wowereits SPD lernen heißt schließlich siegen lernen.

Die Berliner Genossen zeigen, wie die Bundes-SPD aus den grauen Wolken kommt. Bild: ap, Markus Schreiber

Das war deutlich. "Sozialdemokratische Politik muss im Café beim Latte macchiato und gleichzeitig am Biertresen funktionieren", schrieb Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) seinen Genossen bei einer Klausurtagung im mecklenburgischen Göhren-Lebbin hinter die Ohren. Um genügend Wähler zu bekommen, müssten sowohl die junge und kreative Bildungselite angesprochen werden als auch das "abgehängte Prekariat". Dies gelte vor allem in den Ballungsräumen, in denen über ein Drittel der Deutschen lebten. Klaus Wowereit wörtlich: "Wahlen sind vornehmlich in den Metropolen zu gewinnen - oder zu verlieren."

"Das war das optimistischste Referat, dass ich seit Langem von einem Sozialdemokraten gehört habe", sagte nach Wowereits Brandrede der Göttinger Parteienforscher Franz Walter. Der Mann hat recht. Nur hört ihn keiner. Auch deshalb beklagt der Spandauer Bundestagsabgeordnete Swen Schulz, dass Wowereit im Wahlkampf von Frank-Walter Steinmeier keine Rolle spielt.

Bei welchem Getränk kann man sich den SPD-Kandidaten und Nochaußenminister vorstellen? Beim Bier mit dem Bauarbeiter? Oder beim Latte am Kollwitzplatz? Eben - bei keinem. Das ist das Problem von Frank-Walter Steinmeier, und es ist das Problem der Bundes-SPD. Nur noch 20 Prozent, so das Ergebnis einer gestern veröffentlichten Forsa-Umfrage, wollen den Sozialdemokraten ihre Stimme geben. Höchste Zeit also für Steinmeier, auf die Berliner Genossen zu schauen. Dort nämlich zeigen Siegertypen, wie man gewinnt.

Swen Schulz, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Spandau: "Die Berliner SPD hat eine klare Haltung zur Frage, welchen Einfluss der Staat haben soll. Das sind wir weiter. Im Wahlkampf müssen wir deshalb noch deutlicher machen, dass es weitere Privatisierungen der Daseinsvorsorge mit uns nicht gibt. Ansonsten empfehle ich der Bundes-SPD Klaus Wowereit. Ich habe nicht den Eindruck, dass der in den Wahlkampfüberlebungen eine große Rolle spielt. Das könnte ein Fehler sein. Schließlich bringt Wowereit Farbe ins Spiel."

Felicitas Tesch, SPD-Mitglied im Ausschuss für Jugend, Familie, Schule, und Sport: "Die Berliner SPD zeigt, dass man auch mit dünnen Mehrheiten konstant regieren kann - eine große Koalition mit dicker Mehrheit muss nicht sein. Wählerstimmen bringt ganz bestimmt auch, wenn die SPD sich für einen bundesweiten kostenlosen Kitabesuch stark macht oder in anderen Bundesländern mehr Betreuungsstunden durchsetzt."

Daniel Buchholz, umweltpolitischer Sprecher der SPD: "Ein bisschen wilderes Leben ist gar nicht schlecht. Das funktioniert in Berlin ganz gut, es zeigt, dass wir quicklebendig sind. Es schafft sogar Arbeitsplätze, siehe die boomende Kreativwirtschaft. Ein Vorteil von Berlin ist außerdem der geschlossene Landesverband, damit kann sich der Bürger besser mit der Partei identifizieren, als wenn Spaltereien herrschen."

Thomas Kleineidamm, SPD-Datenschutzbeauftragter: "Die Berliner SPD zeichnet aus, dass sie sehr sach- und lösungsorientiert ist. Aber das ist auf Bundesebene in der großen Fraktion auch sehr viel komplizierter umzusetzen. Ich bin seit fast 10 Jahren im Abgeordnetenhaus und kann nur empfehlen: Man muss mit allen - außer den Braunen - Parteien verhandeln können. Es geht darum, mit wem man die meisten Sachen umsetzen kann. Außerdem glaube ich, haben wir 2006 die Wahlen erneut gewonnen, weil wir sehr ehrlich waren und keine wilden Versprechungen gemacht haben. Das macht Eindruck beim Wähler."

Brigitte Lange, kulturpolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus: "Was Steinmeier von Wowereit lernen kann, ist Volkstümlichkeit. Der braucht manchmal Stunden, bis er durch eine Straße kommt, weil ihn alle so anhimmeln. Steinmeier sollte mehr auf die Menschen zugehen."

Andreas Geisel, SPD-Baustadtrat Lichtenberg und Direktkandidat für den Bundestag: "Dem großen Partner einer Koalition werden die Erfolge zugeschrieben. Das ist das Glück der Berliner SPD und die Herausforderung für Frank-Walter Steinmeier. Ich komme gerade vom Wahlkampf am Ringcenter und freue mich, dass es ums Thema Dienstwagenaffäre ruhig geworden ist. Jetzt reden wir über den Deutschlandplan und viele sagen: Gut, dass man sich wenigstens mal ein Ziel stellt."

Joerg Stroedter, Direktkandidat der SPD in Reinickendorf bei der Bundestagswahl: "Themen zuspitzen und stärker polarisieren, das muss die Bundes-SPD. Das kriegen wir in Berlin mit Wowereit ganz gut hin. Angesichts der Finanzkrise ist jetzt eigentlich SPD-Zeit. Das sieht man in den Umfragen allerdings nicht, auch nicht auf Bundesebene. Aber in Berlin."

Wolfgang Thierse, elder statesman: "Berliner und Bundes-SPD machen gemeinsam Wahlkampf. Die eine ist nicht die Lehrmeisterin der anderen."

PROTOKOLLE: UWE RADA, GRIT WEIRAUCH

In Sachen Fingerspitzengefühl etwa. Während Ulla Schmidts Dienstwagen mit verantwortlich ist am Sinkflug der Bundes-SPD, geben sich die Berliner Genossen eisern: "Die Nutzung eines Dienstwagens für Fahrten im Zusammenhang mit Erholungsurlaub ist nicht gesattet." So steht es in einer Dienstanweisung von Innensenator Ehrhart Körting (SPD). So unsexy Vorschriften manchmal sind - die Berliner Regelung ist volksnäher als das Dauerlächeln der Gesundheitsministerin.

Auch in Sachen Glaubwürdigkeit haben die Berliner Sozis ihren Bundesgenossen einiges voraus. Vollbeschäftigung, wie es Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier tut, würde den Berlinern keiner versprechen, nicht einmal der gelegentlich etwas vorlaute Wowereit. Vielmehr pirscht sich die Berliner SPD in kleinen Schritten ans Thema soziale Gerechtigkeit heran. So steht zum Beispiel Fraktions- und Landeschef Michael Müller hinter der Politik der Linkspartei, die Auswirkungen der Hartz-Gesetze auf Landesebene abzufedern. Mit Erfolg: Mit der Agenda 2010, die die Bundes-SPD begleitet wie ein neoliberales Mantra, werden die Berliner Genossen kaum in Verbindung gebracht.

Gleiches gilt für das Aufregerthema Bahn-Privatisierung. Schon zu Zeiten, in denen Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und Ex-SPD-Chef Kurt Beck den Bürgern eine Teilprivatisierung der Bahn AG schmackhaft machen wollte, zogen die Berliner Sozialdemokraten an der Notbremse. Die Chaosmonate der Berliner S-Bahn geben ihnen recht. Volkes Wille geht vor den Erlösen an der Börse. Auch so eine Botschaft, die ankommt.

Natürlich, es gibt auch Querschläger. Klaus Uwe Benneter, der SPD-Bundestagsabgeordnete und Wahlkreiskandidat in Steglitz-Zehlendorf, ist so einer. Keine Gelegenheit lässt er unversucht, die Koalition der Berliner SPD mit der Linken in Zweifel zu ziehen. Ein durchsichtiges Spiel, schließlich ist Benneter ein Schröder-Mann und damit ein natürlicher Feind Wowereits. Für den Regierenden ist dagegen klar: Einen "Plan" braucht die Berliner SPD nicht, um zu zeigen, dass sie die Menschen versteht. Wohl aber einen Bündnispartner. Es ist kein großes Geheimnis, dass Wowereit langfristig eine Koalition mit der Linken auch auf Bundesebene nicht ausschließt. Nicht mehr der Juniorpartner einer Merkelkoalition wäre die SPD dann, sondern Wortführerin eines rot-rot-grünen Bündnisses. Damit würden ihr auch die Erfolge gutgeschrieben, wie Swen Schulze weiß.

Bis es so weit ist, wird wohl noch ein wenig Spreewasser am Kanzleramt vorbeifließen. Klaus Wowereit kann sich in dieser Zeit zurücklehnen. Steinmeier ist es nicht vergönnt. Er steht nun vor der Wahl: entweder "weiter so" bis zur nächsten Umfrage - oder das Ruder herumreißen.

In dieser Woche hat Frank-Walter Steinmeier seine Deutschlandtour begonnen. Man darf gespannt sein, ob er sich auch bei der Berliner SPD blicken lässt. Und an welchem Getränk er in der Hauptstadt nippt - Bier? Latte macchiato? Oder sogar beides?

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