Wahlkampf in der Türkei: Gemüsehändler fühlen sich diffamiert
Die türkische Regierung lässt die Stadtverwaltungen von Istanbul und Ankara verbilligtes Gemüse verkaufen. Das soll für bessere Stimmung sorgen.
Ayse B. ist zufrieden. Sie hat etliche schwere Tüten in der Hand, die sie nun in ihrem Einkaufsroller verstaut. „Ich habe zwei Stunden in der Schlange gestanden“ erzählt sie, „aber es lohnt sich. Das Gemüse ist hier wirklich sehr günstig“. Ayse B. steht vor einem Stand auf dem zentralen Platz im Istanbuler Bezirk Üsküdar, an dem die Stadtverwaltung auf Anweisung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan subventionierte Lebensmittel verkauft. Die Schlange vor dem Stand wird über Stunden nicht kürzer, der Bedarf ist groß.
Der Verkauf wird in Zelten abgewickelt, wie die Bezirksverwaltungen sie auch für die kostenlosen Mahlzeiten während des Fastenmonats Ramadan verwenden. Auch dass der Stand neben der Hauptmoschee von Üsküdar, einem traditionell konservativen Viertel, aufgebaut wurde, ist wohl kein Zufall. Auf dem Lkw, mit dem die Tomaten, Zwiebeln, Kartoffeln und Auberginen angefahren werden, steht:
„ENFLASYONLA TOPYEKÜN MÜCADELE – TÜRKIYE KAZANACAK“ – „Totaler Kampf gegen die Inflation – Die Türkei wird siegen“. Das ist der Slogan unter dem Erdogan seinen „Krieg gegen den Lebensmittelterror“ am Montag in Ankara gestartet hat. In einer Rede betonte er, so wie seine Regierung gegen die Terroristen von der PKK vorgeht, würde sie auch die Inflation und die vom Ausland aus gesteuerten Wucherpreise bei Lebensmitteln bekämpfen.
Die wichtigste Waffe in diesem Kampf sind billige Zwiebeln. Seit dem Sommer letzten Jahres sind die Preise für Zwiebeln explodiert, ein Grundnahrungsmittel, das in keiner türkischen Küche fehlen darf. Auf die Frage, wie viel denn Zwiebeln am Stand der Stadtverwaltung kosten, rufen gleich mehrere Schlangensteher stolz: „Nur 2 Lira.“ Wenn man bedenkt, dass Zwiebeln auf dem nur wenige hundert Meter entfernt liegenden Markt 8 Lira pro Kilo kosten, ist das tatsächlich ein guter Preis. „Wir sind sehr zufrieden“, ruft ein Erdogan-Fan aus der Schlange, „schreiben sie das auch. Ihr ausländischen Journalisten schreibt ja immer was Falsches über die Türkei“.
Propaganda mit Gemüse
Dabei ist Jede und Jeder, es stehen auch viele Männer an, tatsächlich glücklich, sich am städtischen Stand mit billigem Gemüse eindecken zu können. Da die Arbeitslosigkeit fast genauso schnell steigt wie die Inflationsrate, leben viele Familien zusammen von dem Mindestlohn eines Familienmitgliedes. Der liegt bei knapp 2.000 Lira, rund 300 Euro. Da zählt jede Lira, die man beim Einkauf sparen kann.
„Von jedem darf man drei Kilo kaufen“, erzählt Ayse B., „das reicht erst einmal für ein paar Tage“. Trotzdem sind die Aufpasser der Erdogan-Partei sehr nervös. Kaum haben wir unser Gespräch beendet, wird Ayse B. gleich von einem Mann angeherrscht, warum sie denn mit einem Ausländer rede.
Denn im Grunde wissen alle, die vor dem Lebensmittelstand stehen, dass sie Teil einer großen Propagandaaktion sind. Ende März finden in der Türkei wichtige Kommunalwahlen statt. Die ständigen Preiserhöhungen, die gerade bei Lebensmitteln teilweise noch dreimal größer ausfallen als die generellen 21 Prozent Inflation, drohen Erdogan und seiner islamischen AKP empfindliche Verluste bei der Wahl beizubringen. Das gilt vor allem in den Metropolen Ankara und Istanbul und genau in diesen beiden Städten werden die subventionierten Zwiebeln, Tomaten und Auberginen nun auch angeboten. Es gibt 15 Stände in Ankara und 50 in Istanbul, im Rest des Landes müssen die Leute selbst sehen, wie sie mit dem „Lebensmittelterror“ fertigwerden.
Deshalb ist es auch fraglich, ob sich die Aktion für Erdogan letztlich auszahlt. Viele bekommen nichts ab und sind nun erst recht sauer. Vor allem die Gemüsehändler, die sich als „Terroristen“ verunglimpft sehen, sind empört. An den Marktständen in Üsküdar hat man keinerlei Verständnis für Erdogans neuerlichen Anti-Terror Kampf. „Das ist doch eine Schande, was die machen“, sagt ein Händler. „Lächerlich ist das“, regt sich ein anderer auf. Die sollen mal lieber eine bessere Politik machen, sind sich alle einig.
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