Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Tariftreuloses Land
Dank der Jamaika-Koalition werden öffentliche Aufträge an Firmen vergeben, die nicht nach Tarif zahlen. SPD, Grüne und SSW wollen das zurückdrehen.
Nun wird im laufenden Wahlkampf wieder um den Sinn sozialpolitischer Auflagen bei der öffentlichen Vergabe gestritten. Denn Aufträge zu vergeben hat das Land viele – und damit auch Einfluss. Im Moment werden beispielsweise Firmen gesucht, die Radwege instand setzen, neue Lampen im Amtsgericht Kiel installieren oder Brötchen für die Polizeiküche Kiebitzhörn backen.
Stolz waren SPD, aber auch die Grünen, als sie in ihrer gemeinsamen Koalition mit dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) 2013 eine auch im bundesweiten Vergleich weitgehende Reform verabschiedeten: Das Tariftreue- und Vergabegesetz schrieb die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien in Ausschreibungen vor. Danach durften nur noch Firmen den Zuschlag bekommen, die ihre Angestellten tarifgerecht entlohnen oder bei fehlendem Tarifvertrag einen vorgegebenen Mindestlohn bezahlen. Gehofft hatten die Koalitionäre, dass so mehr Unternehmen nach Tarif zahlen.
Denn der Umfang der öffentlichen Ausschreibungen beträgt im Land jährlich rund 14 Milliarden Euro. Das ist immerhin rund ein Sechstel des Bruttoinlandsprodukts im Norden. Und im westdeutschen Vergleich liegt Schleswig-Holstein bei den Durchschnittseinkommen weit unten. „Hier im Land gibt es kaum Industrie, die für hohe Löhne sorgt“, sagt der scheidende SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Baasch.
Deshalb sei es umso wichtiger, über die öffentliche Vergabe von Aufträgen dafür zu sorgen, dass in mehr Betrieben nach Tarif entlohnt wird. Baasch hatte seinerzeit an dem Gesetz mitgearbeitet.
CDU und FDP wollten „entbürokratisieren“
Doch lange währte die vorgegebene Tariftreue für das Land und seine Kommunen nicht: CDU, Grüne und FDP hatten sich im Koalitionsvertrag nach der vergangenen Wahl darauf verständigt, den Mittelstand von bürokratischen Vorgaben zu entlasten und auf „vergabefremde Kriterien“ zu verzichten. 2019 trat die Reform in Kraft – nur der Mindestlohn für in Deutschland geleistete Arbeit blieb erhalten. Der ist ohnehin gesetzlich vorgeschrieben.
Vor allem die SPD tobte danach: Es sei das „arbeitnehmerfeindlichste und rückwärtsgewandteste Vergabegesetz in der Bundesrepublik Deutschland“. Die CDU entgegnete, nun das „mittelstandsfreundlichste Bundesland“ zu werden. Nur öffentliche Aufträge im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs unterliegen allerdings weiterhin der Tariftreue.
Besonders die Gewerkschaften machen sich im laufenden Wahlkampf dafür stark, die Reform von 2019 zurückzunehmen. „Wir brauchen dringend einen beschäftigungspolitischen Neustart“, sagt Laura Pooth, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Norden (DGB Nord). Nur die Vergabe von Aufträgen an Unternehmen mit Tarifbindung würde vor Lohndumping schützen. „Deshalb brauchen wir ein echtes Tariftreuegesetz“, sagt Pooth.
Das Fazit zweieinhalb Jahre nach der letzten Reform fällt dementsprechend unterschiedlich aus: SPD, SSW und Linke wollen das Gesetz nach der Wahl erneut reformieren. Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) dagegen hält die Reform für einen Erfolg: „Davon profitieren vor allem kleine und mittlere Unternehmen, weil diese nach dem alten Vergaberecht durch die hohen Hürden faktisch ausgeschlossen waren von öffentlichen Vergaben.“ Eine „Rolle rückwärts“ werde es mit der FDP nach der Wahl nicht geben.
Grüne hatten sich nicht gesträubt
Die CDU zeigt sich auch zufrieden mit dem bisher Geleisteten: Ändern am Vergabegesetz will sie laut ihrem Wahlprogramm nichts; stattdessen erfreut sie sich daran, die Streichung von „vergabefremden Kriterien“ durchgesetzt und die Vergabeverfahren „erheblich vereinfacht und entbürokratisiert“ zu haben.
Tatsächlich kann ein klares Fazit nur schwerlich gezogen werden: Die Zahl der Angestellten, die nach Tarif bezahlt werden, ist im Land seit 2013 gesunken. Andererseits kann auch das FDP-geführte Wirtschaftsministerium nicht mit Zahlen nachweisen, ob sich die Reform positiv ausgewirkt hat. Das sei kaum messbar, sagt ein Sprecher. Vielmehr sei das Gesetz vor der Reform ein Feigenblatt vor allem der SPD gewesen, um das Gewissen zu beruhigen.
So vehement die Positionen auf beiden Seiten vertreten werden, von den Grünen ist nicht zu erwarten, dass sie für die Reform kämpfen, sollten sie erneut eine Jamaika-Koalition eingehen. Sie waren 2019 vom Vorhaben ihrer Koalition zwar nicht begeistert – bis zum Äußersten hatten sie sich aber auch nicht dagegen gesträubt.
Im Wahlprogramm für die kommende Legislatur versprechen sie aber, ein „wirksames Tariftreue- und Vergabegesetz mit einem Vergabemindestlohn von mindestens 13,50 Euro auf den Weg zu bringen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen