Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Rückenwind für Günther
Auf den letzten Metern wird es spannend: Der CDU-Spitzenkandidat holt auf. Das SPD-Duo agiert mit verteilten Rollen.
Um Letzteres kümmert sich die AfD in altbewährter Manier durch interne Streitigkeiten selbst; das parteiinterne Landesschiedsgericht hat die Wahl des Landesvorstands vom April 2016 gerade für unwirksam erklärt. Bei nächster Gelegenheit soll nun neu abgestimmt werden.
Das Team des AfD-Spitzenkandidaten Jörg Nobis, der aufgrund des Urteils nur ein kommissarischer Vorsitzender ist, will noch vor das Bundesschiedsgericht ziehen. Der Konflikt könnte Nobis entscheidende Punkte kosten. Zuletzt lag die AfD in Umfragen bei 6 Prozent.
Um die beiden anderen Wahlziele müssen die Sozialdemokraten sich selbst kümmern – und bangen dabei gerade kräftig. In den jüngsten Umfragen zog die CDU an der SPD vorbei, die Regierungskoalition wackelt.
Windkraft, Bildung, Infrastruktur
Was ist passiert? Im Wesentlichen dreierlei: CDU-Herausforderer Daniel Günther hat einen lebendigen Wahlkampf geführt und dabei viel versprochen: neue Windkraftpläne, neue Bildungspolitik (G9 statt G8), raschere Infrastrukturmaßnahmen.
Zwar ist der sozialdemokratische Ministerpräsident Albig immer noch bekannter und populärer, aber der 43-jährige Günther wirkt bei seinen Auftritten meist faktensicher und selbstbewusst, auch beim einzigen TV-Duell vor anderthalb Wochen. Da warf ihm die Gewerkschafterin Gabi Schwohn vor laufenden Kameras vor, Günther habe sie mal „Verdi-Schlampe“ genannt. Günther bestritt dies in der Sendung glaubwürdig. Danach kam raus, dass Schwohn auch im Flensburger SPD-Kreisvorstand sitzt und die Beleidigung wohl nur über Dritte erfahren hat. Ein gefundenes Fressen für Günther, der sich als Kampagnen-Opfer inszenierte und eine Entschuldigung von der SPD-Spitze forderte.
Plötzlich standen Albig und SPD-Landeschef Ralf Stegner in der öffentlichen Wahrnehmung am Pranger, die Beleidigung selbst spielte keine Rolle mehr. Schwohn, die eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, schweigt zu der Causa.
Vieles richtig gemacht hat der CDU-Spitzenkandidat offenbar bei seiner inhaltlichen Themenwahl. Immer wieder prangerte er die Mängel in Infrastruktur und Bildung des Bundeslands an: Autobahnen und Bundesstraßen würden zu langsam gebaut, Bundesmittel nicht abgerufen, Schulen verfallen.
Rein rechtlich alles windfest
Überhaupt: die Schulen. 2008 war die CDU noch für das daraufhin eingeführte Abitur nach acht Jahren (G8), nun fordert Günther plötzlich reine G9-Gymnasien. Albig plädiert für den Status quo. Derzeit bieten 84 von 99 Gymnasien G8 an, 11 G9 und an 4 Schulen ist beides möglich. Diese Debatte zeigt wie keine andere: Auf der einen Seite steht Albig, der für einen auf Pragmatismus und Sachlichkeit beruhenden Kurs wirbt, auf der anderen Günther, der den großen Reformer gibt.
Klar, dass die CDU einen härteren Kurs gegen Flüchtlinge fahren will, „konsequenter abschieben“, fordert Günter – natürlich auch nach Afghanistan. Albig lehnt dies weiter entschieden ab, selbst wenn ihn dafür die SPD-Kollegen Martin Schulz und Sigmar Gabriel kritisieren.
Auf dem Land, dem traditionellen CDU-Terrain, kann Günther damit punkten, die Windkraftpläne zu kippen. Dörfler und Initiativen beklagen vor allem zu geringe Abstände zu Wohngebieten. Das hat Günther dankend aufgegriffen, verspricht Veränderungen, obwohl rein rechtlich alles windfest ist. Auch politisch wäre dies eine schwere Mission: Wenn die CDU regieren will, muss sie fast zwangsläufig auf eine Jamaika-Koalition setzen. Ein Zweier-Bündnis mit der FDP gilt nicht als mehrheitsfähig. Ob die Grünen mit Landwirtschaftsminister Robert Habeck auf ihrem Kernfeld kompromissbereit sind, scheint aber äußerst fraglich. Kurz vor Wahlkampfende erklärt Günther dennoch: „Ich habe mit Robert Habeck geschnackt, da sehe ich für mich keine großen Hindernisse.“
Die Rolle des großen Zampano
Während Günther den großen Zampano spielen kann, liegt Albig diese Rolle nicht so recht. Stegner, gegen den er 2012 den parteiinternen Machtkampf um die Spitzenkandidatur gewonnen hatte, reitet die Attacken gegen die Konkurrenz, Stegner liefert die provokanten und zitierfähigen Sätze.
Die Rollenverteilung zwischen dem pragmatischen Regierungschef und dem „roten Rambo“ ist gewollt. „Wir sind darauf angewiesen, dass die Arbeitsteilung funktioniert“, sagt Bettina Hagedorn, Stegners Stellvertreterin der SPD und Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl im September.
Stegner soll die Ortsvereine in Kampflaune halten – und das macht er, wenn er über die Konservativen ablästert wie über einen verwesenden Hering. Sein Mundwinkelspiel erreicht Rekordtiefen, der Blick wird grimmig. „Die bringen neues Chaos für die Schulen“, wettert er. Oder: „Die einzige Rettung für die CDU ist, dass sie in der Opposition bleibt.“ Die einzige Hoffnung für Schleswig-Holsteins SPD dürfte es sein, dass die Taktik der beiden Spitzenleute im Endspurt aufgeht: „Es geht nur mit beiden gemeinsam“, sagt Hagedorn.
Oder auch nicht.
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