Wahlkampf in Deutschland: Zwischen Macht und Ohnmacht
Abgewetzte Formeln für das Volk, dröge Auftritte der Kanzlerin und eine teure Plakatschlacht für alle. Was war das eigentlich? Ines Kappert und Judith Luig sind verärgert über Eliten und Poster-Avatare.
D ie Macht des Wahlkampfs: So nicht, Eliten!
Was musste die gemeine ZeitungsleserIn im letzten Jahr nicht alles lernen: Schrottpapiere, Bad Bank, Konjunkturpakete. Und im Wahlkampf: nichts davon. Wohlgemut schnippten die PolitikerInnen die abgewetzten Diskursjetons von Glaubwürdigkeit, Arbeit für alle und Steuersenkungen in die Diskussionsrunden.
Von Verantwortung, Solidarität, von neuen Gesellschaftsentwürfen - kaum ein Wort. Wie mottig das auch klingt! Wie moralinsauer. Genau diese Anmutung bezeugt die ungebrochene Deutungshoheit von Eliten, denen das Verfemen von Systemverlierern in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wer schließlich hat dir vorgeschrieben, Krankenschwester zu werden? Wer dich in die Friseurbranche gejagt? Du hast doch gewusst, dass man in diesen Berufen nichts verdient. So werden Geringverdiener ihres Ansehens beraubt und als Diskussionspartner diskreditiert.
Dabei ließe sich einfach antworten: Das Elternhaus, der Ausbildungsmarkt, meine Lust am sozialen Kontakt, das Bestreben, zu helfen - und die Öffentlichkeit ist sich dieser Gründe durchaus bewusst. Und doch wird Anteilnahme mehrheitlich als Mangel an Professionalität gedeutet. Angela Merkel verkörpert diesen Zeitgeist perfekt: Uneitel und zurückgenommen, wie sie ist, verkauft sie Leidenschaftslosigkeit und Gleichgültigkeit gegen ganze Bevölkerungsgruppen als Souveränität. Und das gilt als professionell.
Dieser Wahlkampf hat gezeigt: Die Tabuisierung von Gerechtigkeitsfragen und der Abscheu vor PolitikerInnen, die sich dem Zwang zum Konsens entziehen, verhindern gesellschaftliche Kursänderungen, strafen abweichende Lebensentwürfe ab. Folglich werde ich, trotz kultureller Nähe zu den Grünen, diesmal dafür votieren, dass man im Bundestag um das Thema soziale Gerechtigkeit nicht mehr ganz so einfach herumkommt.
INES KAPPERT leitet das taz Meinungsressort
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Die Ohnmacht des Wahlkampfs: Keine Differenzen im Milieu
Es wäre nicht fair, zu behaupten, der Wahlkampf sei komplett ausgefallen. Es war schon interessant, zu sehen - wenn auch erwartbar -, wie alle Parteien in die Mitte drängelten und dann zur Differenzrhetorik griffen: "Wir sind wenigstens nicht so wie die." Das galt vor allem für die SPD, der CDU verlieh der Kanzlerinnenbonus eine gewisse Omnipräsenz beim Volk. Aber beeinflusst hat mich das nicht - ich bin Milieuwählerin.
Ansatzweise spannend war lediglich die Plakatschlacht - mal ganz abgesehen vom Tittenwahlkampf in Berlin-Kreuzberg oder den Grünen-Hintern in Kaarst. So viel wie in diesem Jahr war noch nie los an den Litfaßsäulen. Vielleicht auch deswegen, weil Plakate eher Monologe sind und die Auseinandersetzung vor den Kameras zunehmend zum Gefasel wurde.
Rührend ernsthaft spielten die kleineren Gruppierungen diesmal bei der teuren Plakatschlacht mit, in meiner Berliner Nachbarschaft allen voran die MLPD mit einem kritisch blickenden Karl Marx. Mein SPD-Kandidat hingegen schaute einfach nur so in die Kamera. Um das wettzumachen, wurde noch ein wenig Kreuzberger SPD- Nachwuchs in den Prenzlauer Berg reingehängt: Björn Böhning, der nicht als Foto, sondern als Avatar zu sehen war, so als wäre das hier nicht ein Plakat, sondern ein origineller Facebookeintrag.
Eher abschreckend. Der CDU-Kandidat simulierte auf seinem Wahlfoto eine Session in einer dieser Fotoboxen, die das Berliner Mittevolk für irrsinnig kultig hält. Das soll heißen: "Hey, ich bin so wie ihr." In seiner nächsten Plakatwelle sah er dann allerdings aus wie Hähnchen in Aspik, was er mit dem Slogan "Frische Ideen. Erststimme Gottfried" nur unzureichend konterkarierte.
Die Grünen dagegen fielen nicht auf. Wen der Wahlkampf langweilte, der lag bei ihnen richtig. Und wählt sie aus Tradition. Vielleicht gar nicht das Dümmste.
JUDITH LUIG leitet das tazzwei-Ressort
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