Wahlkampf in Brandenburg: Nur nicht zu viele Stimmen holen
Die Linkspartei lag bei der Europawahl vorn. Das darf bei der Landtagswahl nicht passieren. Sonst pfeift die SPD auf Rot-Rot. Auf Tour mit der Spitzenkandidatin.
Natürlich muss Kerstin Kaiser das ganz anders sehen mit dem Dilemma, in dem die brandenburgische Linkspartei steckt. Natürlich ist es für die Spitzenkandidatin kein Problem, wenn ihre Partei am 27. September vor der SPD liegen sollte: "Wir kämpfen um jede Stimme." Dabei haben sich mit einem solchen Ergebnis gerade ihre Parteifreunde in Thüringen in eine schwierige Lage gebracht. Genauso wie dort würde die SPD in Brandenburg nicht Juniorpartner der Linkspartei sein wollen - und wohl weiter mit der CDU regieren.
Dass Kaisers Partei vorne landet, ist durchaus möglich. 2004 lag die Linkspartei mit 28 Prozent weniger als 4 Prozentpunkte hinter den Sozialdemokraten. Bei der Europawahl im Juni ließ sie die Sozialdemokraten deutlich hinter sich. SPD-Strategen verweisen zwar auf die damalige niedrige Wahlbeteiligung und darauf, dass die Linkspartei damals ihr Stimmenpotenzial schon ausgereizt habe. Wie es aber tatsächlich aussieht, ist unklar - die jüngste Meinungsumfrage zur Landtagswahl gab es im Mai.
Die Frau, die stellvertretende Ministerpräsidentin des 2,5-Millionen-Einwohner-Landes werden könnte, sitzt drei Wochen vor der Wahl in T-Shirt und Jeans auf einem Schemel in Kleinmachnow, in der Hand hält Kerstin Kaiser ein Mikrofon. Die 49-Jährige spricht nicht bloß damit, so wie es alle Kandidaten tun. Kaiser singt auch. Sonor und voll. In manchen Passagen erinnert sie an Barbara Thalheim, die bekannte Liedermacherin aus DDR-Zeiten und noch immer auf Tour.
Mit Thalheim hat Kaiser nicht nur das Singen gemeinsam. Beide haben eine Jahrzehnte zurückliegende Vergangenheit als IM der Staatssicherheit. Kaiser berichtete während ihres Studiums in Leningrad Anfang der 80er über ihre DDR-Kommilitonen. Davon hat sie sich in den 90ern distanziert. "Was ich falsch gemacht habe, wird mich mein Leben lang beschäftigen und quälen", schreibt Kaiser auf ihrer Internetseite. Anders als andere behauptet sie nicht, keine Alternative zur IM-Tätigkeit gehabt zu haben: "Es wäre möglich gewesen, nein zu sagen, sich zu verweigern." Auch deswegen hätten die Sozialdemokraten kein Problem, mit ihr zu koalieren. "Wir akzeptieren ihre Entschuldigung", sagt SPD-Generalsekretär Klaus Ness. IM sei nicht gleich IM, ist von Ministerpräsident Matthias Platzeck zu hören.
In Kleinmachnow kehrt Kaiser quasi in ihre Vergangenheit zurück. Hier hat sie gelebt, bevor sie nach Strausberg zog; hier hat sie in den letzten Jahren der DDR an der Parteihochschule Russisch unterrichtet. Es ist ein Ort,in dem eigentlich nicht viel für die Linkspartei zu holen sein dürfte. Nirgendwo im Osten wird besser verdient. Während selbst im benachbarten Berlin-Zehlendorf Bettler auf der Straße sitzen, scheint in Kleinmachnow schon Realität, was die Linkspartei auf ihren Wahlplakaten fordert: Reichtum für alle. Und doch holte ihr Bürgermeisterkandidat Klaus-Jürgen Warnick, der nun für den Landtag antritt, hier bei der Kommunalwahl 41 Prozent. An ihm zeigt sich, womit die Linkspartei vielfach punktet: langjährige, tiefe Verwurzelung vor Ort, Engagement auch außerhalb der Partei.
Vor Kaiser sitzen in Kleinmachnow knapp 70 Zuhörer, größtenteil jenseits der fünfzig. Im Hintergrund stößt eine Runde am Getränkestand der Partei wiederholt mit "Hasta la victoria siempre" an. Bei den Älteren vorne wippt mancher mit, als Kaiser bekannte Lieder früherer Tage vorträgt. Arbeiterklassiker sind dabei, wie sie im Westen Hannes Wader gesungen hat, aber auch Lieder des Gitarristen neben ihr. Das ist ihr Mann Jörg Kokott, zu DDR-Zeiten Mitgründer der Band Wacholder.
Sie habe immer gesungen, sagt Kaiser, "mindestens doppelt so lang, wie ich Politik mache". 2004 trat sie zum ersten Mal damit im Wahlkampf auf, jetzt hat sie extra eine CD namens der "Der rote Mohn" aufgenommen. Auch wenn die Lieder alt sind: Texte wie "Es kann ja nicht immer so bleiben" passen in den Wahlkampf der Linkspartei, in dem es viel um Umgestaltung, bessere Bildung und generell sozialere Politik geht.
Von den üblichen Wahlkampfritualen abzurücken, haben schon andere versucht. FDP-Bundeschef Guido Westerwelle tourte mal von einem Beachvolleyballfeld zum nächsten. Bloß hat da in der Regel keiner Lust, sich zwischen zwei Ballwechseln die politische Weltlage erklären zu lassen. Kaiser hat es leichter - jeder Liedermacher erzählt schließlich zwischen zwei Stücken irgendeine kleine Geschichte. "So komme ich doch nachher viel besser ins Gespräch", sagt sie. Die Sache scheint ihr wirklich Spaß zu machen.
Nach eineinhalb Stunden packen Kaiser und ihr Mann Verstärker, Gitarre und Notenständer zusammen. Ein gutes Dutzend Mal wird sie bis zum Wahltag noch auftreten - auch mit einem Lied von 1889, damals unter den Sozialistengesetzen verboten: "Wenn ich einmal der Herrgott wär". Nicht dass Kaiser religiös ist - aber manchmal, hat sie den Zuhörern erzählt, könne man ja von Möglichkeiten jenseits parlamentarischer Mehrheiten träumen.
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