Wahlkampf im Iran eröffnet: Chatami kandidiert für die Reformer
Der ehemalige Präsident tritt bei den Wahlen im Juni gegen den Amtsinhaber Ahmadinedschad an, stößt aber auch auf Kritik in den eigenen Reihen.
Nach langem Zögern hat Mohammad Chatami seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 12. Juni angemeldet. "Ich erkläre hiermit meine ernsthafte Absicht, mich an der Präsidentschaftswahl zu beteiligen", sagte er am Sonntag.
Der 65-jährige Reformpolitiker wurde 1997 mit fast 70 Prozent der Wählerstimmen zum Präsidenten gewählt und 2001 für weitere vier Jahre bestätigt. Laut Verfassung konnte er nicht zum dritten Mal hintereinander kandidieren. Er zog sich zurück und widmete sich seinem Steckenpferd, dem Dialog der Kulturen und Religionen. Der Reformer Chatami ist der einzige Politiker, dem es gelingen könnte, den amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad abzulösen. Doch sein langes Zögern war nicht unbegründet.
Zunächst ist er im eigenen Lager umstritten. Die Radikaleren unter den Reformern werfen ihm Inkonsequenz und mangelndes Durchsetzungsvermögen vor. Chatami konnte während seiner achtjährigen Amtszeit keine Gesetze durchsetzen, die auf grundlegende Reformen abzielten. Er begründete dies mit der überragenden Macht der Konservativen, die "mir alle neun Tage eine neue Krise bescherten". Das liege am System, entgegnen die Kritiker. Gerade Chatamis Scheitern beweise, dass die Islamische Republik nicht reformierbar sei.
Hinzu kommen enttäuschte Wähler, die sich fragen, warum sie einen Politiker wählen sollten, der schon einmal gescheitert sei. Sie trauen ihm nicht zu, aus Fehlern gelernt zu haben und in der Lage zu sein, ihre Forderungen nach Freiheit und Demokratie durchzusetzen.
Doch gerade diesen Anspruch erhebt Chatami. "Ich werde auf Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmungsrecht insistieren, solange in meinen Adern Blut fließt", sagte er kürzlich. Aber bei diesem Vorhaben muss er nicht nur Kritiker aus den eigenen Reihen und die Wähler überzeugen. Vor ihm liegen andere Hürden, die schier unüberwindbar sind. Er hat nahezu die gesamten Medien, die von radikalen Islamisten beherrscht werden, gegen sich. Eine bereite Diffamierungskampagne gegen ihn läuft bereits auf vollen Touren. Auch sämtliche mächtige Instanzen, allen voran Revolutionsführer Ali Chamenei, werden sich ihm in den Weg stellen. Chamenei hat sich mehrmals für die Wiederwahl Ahmadinedschads ausgesprochen. Schließlich ist davon auszugehen, dass die Wahlen wie üblich manipuliert werden.
Sollte aber Chatami die Wahl tatsächlich gewinnen, würde er vor einem Berg von Problemen stehen. Die katastrophale Wirtschaftslage, die zerrütteten Außenbeziehungen, die korrupte und inkompetente Verwaltung, die dringend reformbedürftigen Gesetze und dergleichen mehr verlangen ein gemeinsames Engagement der gesamten Staatsführung. Doch im Parlament verfügen Konservative über eine absolute Minderheit. Armee, Polizei, Justiz, Geheimdienste und weitere wichtige Instanzen unterstehen ohnehin dem Oberbefehl des Revolutionsführers. Der Spielraum der Regierung ist demnach viel zu eng, um große Schritte zu wagen.
Chatami stellte für seine Kandidatur unter anderem die Bedingung, er müsse so viel Macht haben, um sein Programm durchsetzen zu können. Das ist an die Adresse des Revolutionsführers gerichtet. Es ist jedoch sehr zu bezweifeln, dass Chamenei bereit wäre, einen Teil seiner Macht abzugeben. Es sei denn, er würde einsehen, dass weitere vier Jahre Ahmadinedschad die Islamische Republik existenziell gefährden.
Diese Gefahr, die auch Konservative sehen, steigert Chatamis Chancen. Im Lager der Konservativen nimmt die Kritik an Ahmadinedschad rapide zu. Einflussreiche Geistliche und Politiker, die gleichzeitig über große Wirtschaftsunternehmen verfügen, sehen ihre Interessen bedroht. Daher ist es nicht auszuschließen, dass aus dem konservativen Lager neben Ahmadinedschad auch andere Kandidaten ins Feld geschickt werden. Es könnte aber auch sein, dass Chatamis Kandidatur die Konservativen dazu zwingt, trotz aller Differenzen geschlossen aufzutreten und sich hinter Ahmadinedschad zu stellen. Bisher liegt keine offizielle Anmeldung eines Konservativen vor. Auch Ahmadinedschad hat sich noch nicht um eine zweite Amtszeit beworben.
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