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Wahlkampf auf Social MediaUser, Algorithmen und Argumente

Weltweit ähnelt Wahlkampf auf Social Media einem Computerspiel. Likes entscheiden mit.

Im Wahlkampf ist Vieles möglich – fehlen nur noch Ascii-Art-Katzenbilder Foto: imago

E s ist die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs, das macht sich auch in den Kommentarspalten auf Tiktok bemerkbar. Ein blaues Herz für die AfD, ein grünes für die Grünen, ein rotes für die Linken – politische Präferenzen werden hier gerne mit Emojis ausgedrückt. Nicht nur ab und an, sondern zuhauf. Nicht nur unter Videos zu politischen Inhalten, sondern fast überall.

Auch ASCII-Art erlebt eine Renaissance! Mit Symbolen und Sonderzeichen werden dekorative Rahmen, Herzen und die Schriftzüge der Parteien gestaltet, um sich in den langen Threads visuell abzuheben.

Kommentare dieser Art sind nicht nur Ausdruck der persönlichen Meinung, es geht oft auch nicht vordergründig darum, andere von der eigenen Haltung zu überzeugen – denn dann würde man argumentieren. Nein, sie sind ein Spielzug: Durch erhöhte Interaktion soll der Algorithmus beeinflusst werden.

Mehr For-You, mehr Reichweite

Das Ziel? Politische Inhalte auf die For-You-Page zu bekommen, wo sie viral gehen können – denn das bedeutet mehr Reichweite, mehr Einfluss, mehr Kontrolle über den digitalen Wahlkampf. Um die eigene Bubble zu durchbrechen, werden vielfach sogar die Herzchen der gegnerischen Partei verteilt.

Manche Kommentare enthalten zudem irreführende Ratschläge wie: „Nicht vergessen, den Wahlzettel zu unterschreiben!“ Der politische Diskurs ist zum Multiplayer-Game geworden – ein Phänomen, das sich weltweit in demokratischen Wahlkämpfen beobachten lässt. Regeln wie „Sie erreichen mehr Sichtbarkeit durch Interaktion“ werden von den großen Plattformen vorgegeben. Algorithmen sind die unsichtbaren Spielleiter, die entscheiden, welche Inhalte im Turnierverlauf weiterkommen. In diesem Wahlkampf-Game ringen Parteien um die besten Platzierungen in den Feeds der Wählerschaft.

Doch die wichtigsten Spielfiguren, das sind wir – wir User. Originalcontent, seien es Videos auf den Profilen der Kanzlerkandidaten oder Auszüge aus TV-Sendungen oder Bundestagsreden, dient nicht mehr allein als Aufklärung über das Parteiprogramm. Sie sollen Reaktionen hervorrufen und sind Munition für uns User. Wir werden damit zu Wahlhelfern – ohne das immer im Sinn gehabt zu haben. Denn Liken, Teilen, Kommentieren sind die Moves, die über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Politik als Fankultur

Doch was bedeutet es für die politische Kultur, wenn Wahlkampf zur reinen Performance wird? Wichtiger als der Wettstreit politischer Ideen sind zustimmende Likes und Reichweite. Politische Überzeugungen werden nicht mehr durch Argumente verhandelt, sondern durch Symbole markiert – ähnlich wie Fans ihre Zugehörigkeit zu Popstars oder Sportvereinen demonstrieren.

Wer Politik als Spiel begreift, sucht nicht mehr nach der besten Lösung für gesellschaftliche Probleme, sondern nach der effektivsten Taktik, um zu gewinnen. In der digitalen Arena bedeutet das: Hohe Viewzahlen schlagen jedes Argument, Engagement ist wichtiger als Wahrheitsgehalt.

Auch die Motivation der Beteiligten verändert sich grundlegend. Man vertritt Positionen nicht mehr unbedingt aus Überzeugung, sondern weil ihre Inszenierung Erfolg verspricht: „Ich wähle AfD. Einfach nur, um euch zu ärgern. Ihr nervt nämlich mittlerweile mehr als rechts“, schreibt ein Kommentator auf Tiktok. Das ist repräsentativ.

Solchen Kommentaren lässt sich die schleichende Entwertung politischer Ernsthaftigkeit entnehmen. Wer den Wahlkampf als Spiel wahrnimmt, kann komplexe gesellschaftliche Herausforderungen leichter trivialisieren. Moralische Verantwortung und demokratische Werte verkommen zu beliebigen Spielelementen, die man je nach Taktik einsetzen oder ignorieren kann – schließlich ist es ja „nur ein Spiel“.

Die Gamifizierung des Wahlkampfs ist damit deutliches Symptom einer Transformation unserer politischen Öffentlichkeit. Während Wahlkämpfe schon immer von strategischem Kalkül geprägt waren, sind es heute wir User, die mit jedem Like, jedem Kommentar und jedem geteilten Video entscheiden, ob Politik zum demokratischen Diskurs oder zum taktischen Spiel wird.

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