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Wahlforscher über Migranten"SPD könnte nach links verlieren"

Wahlforscher Andreas Wüst über die Bindung von Menschen mit Migrationshintergrund an linke Parteien und die Gefahr für die SPD, durch den Nichtausschluss von Sarrazin diese Wähler zu verlieren.

Top-integriert: Franz Müntefering mit SPD-Politiker Ahmet Iyidirli beim Dönerfrühstück. Bild: dpa
Interview von Niklas Wirminghaus

taz: Herr Wüst, die SPD schmeißt Thilo Sarrazin nicht aus der Partei. War das eine Fehlentscheidung, die Wähler mit Migrationshintergrund vergrault?

Andreas Wüst: Eine Prognose abzugeben wäre fahrlässig, weil Erkenntnisse über mögliche Effekte dieser Personaldiskussion schlichtweg fehlen. Klar ist aber, dass die SPD bei Wählern mit typischem Migrationshintergrund, also bei ehemaligen Gastarbeitern und deren Nachkommen, stets hohe Stimmenanteile erhalten hat.

In welcher Höhe?

Das sind Größenordnungen, die die Bundes-SPD nur von früher kennt: 40 Prozent und mehr. In den letzten Jahren gibt es bei diesen Wählern allerdings eine Tendenz zu anderen Parteien des linken Spektrums, also zur Linkspartei, aber auch zu den Grünen. Sollte es also unter den Wählern mit türkischem Migrationshintergrund Unmut über diese Entscheidung geben, läuft die SPD Gefahr, weiter Wählerstimmen an andere Parteien im linken Lager zu verlieren. Wechsel ins bürgerliche Lager sind jedoch nicht zu erwarten.

Woher kommt diese starke Bindung "typischer" Migranten an die SPD?

Das hat allem voran mit der Politik gegenüber Migranten in Vergangenheit und Gegenwart zu tun. Linke Parteien nehmen sich traditionell eher Minderheiten sowie deren Problemlagen und Interessen an. Sie haben auch eher ein Gesellschaftskonzept, das Gleichberechtigung über ethnische Grenzen hinweg hochschätzt.

Bild: mzes
Im Interview: Andreas Wüst

ANDREAS WüST 41, ist Politologe am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Er forscht zum Wahlverhalten und zur politischen Repräsentation von Migranten.

Immer mehr Migranten haben deutsche Pässe. Sind das alles potenzielle SPD-Wähler?

Derzeit gibt es etwa fünf Millionen Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund, davon allein drei Millionen Aussiedler. Die Zahl türkischstämmiger Wahlberechtigter liegt bei gerade einmal 600.000. Der Anteil hat sich in den vergangenen Jahren allerdings leicht erhöht und wird weiter wachsen. Auf der anderen Seite gibt es kaum noch Aussiedlerzuzug.

Größere Effekte wird diese veränderte Zusammensetzung aber erst mittel- bis langfristig haben. Bislang beobachten wir unter den typischen Migranten kaum Veränderungen der generellen Wahlmuster. Bei den Aussiedlern zeigen sich aber Veränderungen hin zu linken Parteien. CDU und CSU können sich der Wähler mit Aussiedler- oder Spätaussiedlerhintergrund nicht mehr so sicher sein.

Geht es Wählern mit Migrationshintergrund wirklich vor allem um die Haltung in der Integrationspolitik? Für viele sind doch mittlerweile auch andere Politikfragen interessant.

Selbstverständlich interessieren sie sich genauso für andere Fragen. Aber die Erfahrung, wie man mit ihnen als Personengruppe in Gesellschaft und Politik umgeht, ist ein Faktor, der nach wie vor für die Parteipräferenz eine wichtige Rolle spielt. Es ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit in der Migrations- und Integrationspolitik.

Die Causa Sarrazin berührt doch genau diese Glaubwürdigkeitsfrage.

Natürlich hat es jetzt unter Migranten Protestreaktionen gegen den Nichtausschluss gegeben. Aber Herr Sarrazin ist, und da müssen wir die Kirche schon im Dorf lassen, kein aktiver Politiker der SPD. Er war auch nie ein SPD-Politiker ersten Ranges. Die Wähler können in der Regel unterscheiden, was Politik der Partei ist und was die Haltungen eines einzelnen Mitglieds sind.

In der Öffentlichkeit wird Sarrazin doch vor allem in seiner Eigenschaft als SPD-Mitglied wahrgenommen.

Ich sehe das nicht so. Herr Sarrazin macht vor allem Politik für sich und sein fragwürdiges Buch.

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10 Kommentare

 / 
  • WB
    Wolfgang Bieber

    Die SPD ist ein Witz, den man zu oft gehört hat, um noch lachen zu wollen. Da lachen wir lieber über die, die im Ernst an den Parteiausschluss von Sarrazin geglaubt haben: http://bit.ly/lfe30Q

  • H
    Hatem

    Glaube kaum, dass Sarrazin nennenswerten Einfluss auf die Wahlentscheidung haben wird. Denn:

     

    "Die Mehrheit der türkischstämmigen Migranten hat die von Thilo Sarrazin angestoßene Integrationsdebatte nicht mitbekommen. Das hat das Berliner Meinungsforschungsinstitut Data 4U in einer repräsentativen Umfrage herausgefunden, die Ende September veröffentlicht wurde."

     

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/tuerkischstaemmige-berliner-fuehlen-sich-integriert/1945546.html

     

    Da könnte man glatt denken, dass da viele in so einer Art Parallelgesellschaft leben.... ;-)

  • R
    reblek

    "Immer mehr Migranten haben deutsche Pässe." Keineswegs, sie haben einen deutschen Pass. Einen Doppelpass gibt es für sie nicht.

  • H
    HilmarHrinschrodt

    Wenn Sarrazin nicht aus der SPD ausgeschlossen wird, dann darf wohl auch in Zukunft niemand mehr aus der SPD ausgeschlossen werden, den noch mehr Schaden als Herr Sarrazin mit seinem Buch und seiner Tour durch Deutschland kann man kaum noch anrichten. Dieser Sarrazin-Nichtauschluss zeigt aber sehr deutlich, warum die SPD immer mehr Wähler verliert. Die SPD hat einfach jede Glaubwürdigkeit verloren und verrät schon wieder die eigenene (inzwischen wohl schon Schein)Identität wenns - wie jetzt im Fall Sarrazin - darauf ankommen würde! Nicht Deutschland schafft sich ab; die SPD schafft sich mit Sarrazin ab. Ich jedenfalls kann einer solchen Partei meiner Stimme nicht mehr anvertrauen, never!

  • F
    Franzi

    Wen interessieren die paar Stimmen?

    Ich will einmal eine Geschichte erzählen: Ein ehemaliger Schulkammerad von mir ist Türke, er ist gläubig, hält nicht viel von der Emanzipation, will nur eine muslimische Jungfrau heiraten, hat wenig deutsche Freunde, hält allgemein auch nicht viel von Nicht-Muslimen. Das hat er uns immer wieder zu verstehen gegeben.

    Wissen Sie, in welcher Partei er ist? Ja, in der SPD. Passen seine Ansichten zum Programm der SPD? Nein! Und genau das ist das Problem! Gerade orthodoxe Muslime wählen doch nur SPD und Grüne, da sie über diese ihre Forderungen einbringen können und auf keine Gegenwehr treffen.

    Das verfärbt das Programm der linken Parteien seit Jahren! Die Grünen glauben vielleicht noch dran, da sie nett Bionade süddelns im schicken Stadtteil ohne orthodoxe Muslime leben, die SPD-Wähler bekommen aber deren Verachtung und Verhalten TÄGLICH mit!

     

    Die SPD macht Minderheitenpolitik, die ihr eigenes Profil verwässert und seit Jahren ehemals treue SPD-Wähler abschreckt!

  • K
    KingundKong

    Hoffentlich verliert die SPD wegen ihres unreflektierten Umwerbens migrantrinischer Wählerschichten noch mehr deutsche Wähler. 4 Millionen arabisch türkische Stimmen mehr für die SPD, 10 Millionen deutsche weniger. Macht dann wohl die endgültige Auflösung der Hartz 4 Partei.

  • HW
    Hannes We

    Die SPD wäre gut beraten sich nach links zu öffnen, anstatt zusammen mit den anderen Parteien auf die Linken einzudreschen. Ein höchst amüsanter Beitrag zu diesem Thema: http://le-bohemien.net/2011/04/28/glosse/

  • S
    Schulz

    Migranten waehlen am haeufigsten garnicht,

    danach evtl aus den eigenen Kandidaten, welche schon 4 Generationen im Land sind, anschliessend eventuell zur eigenen Sicherheit die staerkste Partei, CSU-CDU, weil damit irgend ein Gott und damit auch noch...

    eine Legitimation erworben wird...

     

    wieso SPD?

    Dann doch die Gruenen?

     

    Nein, garnicht.

     

    Die planvolle Ueberwachung der Wahlzettel ist doch einfach.

  • M
    Micha

    Was Migranten auch zur Linken kommen lässt die der gemeinsame Antisemitismus und die Holocaust-Leugnung: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,759367,00.html

     

    Warum wird darüber überhaupt bei der taz nicht berichtet?

  • J
    jwpriebe

    Wer so etwas in seiner Partei duldet, endet als Facebookgruppe. Dazu braucht keinen Migrationshintergrund um die SPD wegen diesem Dingsda nicht mehr zu wählen, das ist eine Frage des Anstands.