Wahlen in der Türkei: Zwei Stempel für den Wandel
Bis Dienstag können 95.000 in Berlin lebende Türk*innen über Präsident und Parlament der Türkei abstimmen. Nicht wenige hoffen auf Erdoğans Abwahl.
Feride Omar hat Glück, bis sie am Eingang steht, sind gerade mal zehn Minuten vergangen. „Ich bin hier mit Hoffnung und Sorge“, sagt sie. „Ich habe Angst, dass es so ausgeht wie bei vergangenen Wahlen, bei denen Stimmen nicht richtig ausgezählt wurden.“
Omar ist eine von rund 100.000 wahlberechtigten türkischen Staatsbürger*innen, die in Berlin seit dem vergangenem Donnerstag bis zum 9. Mai ihre Stimme für die Wahlen abgeben können. Insgesamt können 1,4 Millionen Wahlberechtigte bundesweit abstimmen.
Sie alle fiebern den Wahlen am 14. Mai in der Türkei entgegen. Und alle treibt die Frage um, ob der autoritäre Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die AKP ein weiteres Mal gewählt werden. Neben ihm stehen drei weitere Kandidaten zur Wahl. Chancen auf einen Sieg rechnet sich Kemal Kılıçdaroğlu aus. Er ist Vorsitzender der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP und Gegenkandidat eines politisch breiten Oppositionsbündnisses.
Zum Abstimmen einmal Stemplen
Geduldig halten die Wartenden am Eingang ihre Pässe und ID-Karten bereit, um von den Sicherheitskräften aufs Gelände gelassen zu werden. Nachmittags um 15 Uhr sei am meisten los, erzählt eine Sicherheitsdienstmitarbeiterin.
Wahltermin Am 14. Mai sind in der Türkei die Wahlen zum Präsidenten und zum Parlament.
Wahlberechtigt Wer einen türkischen Pass hat und sich bis Anfang April ins Wählerverzeichnis hat eintragen lassen, kann in den türkischen Generalkonsulaten abstimmen. Der Zeitraum für die Abstimmung in den bundesweit 26 Lokalen ist vom 27. April bis zum 9. Mai.
Stimmzettel Die Wahlberechtigten haben zwei Stimmen: sie stimmen direkt über einen der vier Präsidentschaftskandidaten ab und wählen die Parteien ins Parlament.
Wahlergebnisse Bei der Präsidentschaftswahl im Juni 2018 hatten die in Deutschland wählenden Türk*innen mehrheitlich für Erdoğan gestimmt. (taz)
Die vier Präsidentschaftskandidaten sind mit Namen und Bild auf einem Stimmzettel abgebildet. Auf einem zweiten, über einen Meter langen Wahlbogen stehen aufgereiht alle antretenden Parteien mit Symbol, Namen und Bündnispartnern. Im Gegensatz zu deutschen Wahlzetteln setzen die Wahlberechtigen hier keine Kreuze: Um ihre Stimmen abzugeben, stempeln die Wähler*innen „Evet“, also „Ja“, unter ihren Kandidaten oder ihre Partei.
Wahlwerbung im Bus zum Konsulat
Nahe des Eingangs fährt ein Kleinbus vor, aus dem zwei Frauen aussteigen, die sich beide in die Schlange eingliedern. An der Tür und am Rückfenster des Autos prangt das Gesicht von Kılıçdaroğlu. Daneben steht auf Türkisch: „Ich verspreche dir, der Frühling wird wiederkommen.“ Es ist nicht der einzige Kılıçdaroğlu-Bus: Aus Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln bringen solche Busse Wähler*innen bis zum Konsulat und wieder zurück.
Cumali Kangal fährt einen der Transporter. Früher war er selbst in der Berliner SPD und ist auch bei der CHP engagiert. Während der Fahrt erklärt er den Vorgang der Wahl. Dafür kleben die Stimmzettel an der Rückwand des Fahrers. Groß und rot prangt „Evet“ unter der CHP. „Wir appellieren dafür, unseren Kandidaten zu wählen“, sagt er.
Ebenfalls sollen solche Transporte auch von AKP-Befürworter*innen stattfinden. Nur sei es weniger offensichtlich, da die Transporter und Limousinen nicht mit Aufklebern bedruckt seien, sagt der linke Politiker Hakan Taş. Er kritisiert, dass die AKP direkt vor Ort Wahlgeschenke verteilt habe.
Auf Twitter habe er ein Foto veröffentlicht, das laut ihm eine Frau zeigt, die eben das Wahllokal verlässt und dabei eine AKP-Tüte hält. „Die abgebildete Glühbirne ist eindeutig das Symbol der AKP“, sagt Taş. Ihm wurde gesagt, dass die Partei Nudeln oder Kopfhörer verteile, je nach Personengruppe, ob Hausfrau oder Jugendliche. „Das sehe ich kritisch, da unmittelbar im Wahlbereich keine Wahlwerbung erlaubt ist“, sagt er.
Jede Stimme zählt
Über ihre Wahlentscheidung schweigen die meisten. Manche winken ab, andere geben kryptische Antworten, sie wollen: „Das Beste für die Türkei“ oder dass endlich „das Gute an die Macht komme“, dass es „der Türkei besser geht als jetzt“. Ein mittelalter Mann sagt dagegen nur „Drei Halbmonde und Graue Wölfe“, ein klarer Bezug auf die rechtsextreme MHP, die die AKP unterstützt. In einem sind sich alle einig: Jede Stimme zählt.
Ein älteres Paar konnte ihre Stempel nicht setzen. Sie hätten sich für die Wahl im Generalkonsulat in Berlin vorab registrieren müssen. Das wussten sie nicht. Nun wollen sie in die Türkei fliegen und dort wählen, sagen sie.
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