Wahlen in Island: Sozialdemokratie feiert Comeback
Die isländischen Sozialdemokraten gehen als Wahlsieger hervor. Die mitregierenden Grünen fliegen aus dem Parlament. Ein Regierungswechsel steht bevor.
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Am Montagmorgen gab sich Wahlsiegerin Kristrún Frostadóttir, Parteivorsitzende der sozialdemokratischen Allianz, diplomatisch zuversichtlich, dass Staatspräsidentin Halla Tómasdóttir sie mit der Regierungsbildung beauftragen werde.
Es hänge davon ab, wie die Präsidentin die politische Landschaft einschätze, sagte Frostadóttir dem isländischen Rundfunk vor ihrem obligatorischen Nach-Wahl-Besuch bei der Präsidentin. „Die Lage bietet natürlich enorme Chancen, daher bin ich einfach gespannt.“ Es müsse aber einen Einfluss haben, dass ihre Partei aus den Wahlen als stärkste hervorgegangenen sei, so Frostadóttir.
Seit ihrem großen Absturz bei der Wahl 2013 – damals von knapp 30 auf 12,9 Prozent – hatten die Sozialdemokraten nicht mehr so gut abgeschnitten wie bei dieser kurzfristig angesetzten Neuwahl. Sie legten um 10,9 Punkte zu, sind mit 20,8 Prozent der Stimmen nun stärkste Partei und stellen künftig 15 der insgesamt 63 Abgeordneten im isländischen Althing.
Linksgrüne Bewegung stürzt ab
Die bisherige Koalition war Mitte Oktober zerbrochen, und am mildesten wurde nun die liberalkonservative Unabhängigkeitspartei von Ministerpräsident Bjarni Benediktsson abgestraft – seine Partei verliert fünf Punkte, ist mit 19,4 Prozent aber noch zweitstärkste Kraft im Land.
Die Linksgrüne Bewegung aber, mit der die Differenzen vor allem in asylpolitischen Fragen so groß waren, dass Benediktsson die Koalition aufkündigte, spielt in Islands Parlament vorerst gar keine Rolle mehr: Sie stürzten von 10,3 auf 2,3 Prozent ab – weit entfernt davon, an Islands Fünf-Prozent-Hürde überhaupt nur zu kratzen.
„Das ist ohne Zweifel ein Wendepunkt für uns alle, die wir jahrelang mit Herz und Seele für die Anliegen der Bewegung gekämpft haben“, schrieb Parteivorsitzende Svandís Svavarsdóttir auf ihrer Facebook-Seite. Sie erklärte, dass eine Analyse der politischen Lage noch Zeit benötige, kündigt jedoch an, dass innerhalb der Partei ein Wiederaufbau und eine Neugestaltung bevorstehe.
Im isländischen Rundfunk RUV merkte sie an, dass alteingesessene Parteien sich in einer bisher unbekannten Situation befänden. Wie sich die Parteienlandschaft Islands seit der Finanzkrise noch einmal verstärkt verändert hat und kleinteiliger geworden ist, erklärte die isländische Politikwissenschaftlerin Eva Heiða Önnudóttir der taz vor der Wahl.
Junge Parteien erhalten Zustimmung
Zwei der alteingesessenen Parteien liegen immerhin dennoch vorne. Aber neben Linksgrün rutschte auch der andere bisherige Koalitionspartner, die traditionelle, mittig angesiedelte Fortschrittspartei, um 9,5 auf jetzt 7,8 Prozent ab.
Die drei Wahlsieger neben der Sozialdemokratischen Allianz sind hingegen Parteineugründungen und -Abspaltungen, alle weniger als zehn Jahre alt: Die Liberale Reformpartei – mitte-rechts, pro EU, legte um 7,5 Punkte auf 15,8 Prozent zu. Die populistische Volkspartei, die die Bedeutung von Armutsbekämpfung in Island gegen Internationale Zusammenarbeiten ausspielt, hat im neuen Parlament zehn Sitze, liegt bei 13,8 Prozent (plus 5). Und die ebenfalls EU-skeptische, populistische Zentrumspartei mit Agrarschwerpunkt legt 6,7 Punkte zu, auf jetzt 12,1 Prozent.
Raus sind wie Linksgrün auch die Piraten, die nur noch drei Prozent erreichten (minus 5,6). Deren Fraktionsvorsitzende Þórhildur Sunna Ævarsdóttir sagte, selbstverständlich müsse sich eine Partei, die aus dem Parlament verschwindet, kritisch hinterfragen. Sie hob aber zugleich den bisherigen Einfluss ihrer Partei hervor, etwa im Bereich Entkriminalisierung kleiner Mengen von Drogen oder Transparenz in der Verwaltung. „Und wir sind nicht wirklich weg, auch wenn wir heute eine Niederlage hinnehmen müssen.“
Der Ausgang der Wahl hatte als unvorhersehbar gegolten, viele Wahlberechtigte entschieden sich Umfragen zufolge erst kurz vor knapp. Wie wichtig ihnen die Wahl war, zeigt die hohe Wahlbeteiligung: Mehr als 80 Prozent nutzen ihre Stimme.
Wählende sorgen sich um soziale Fragen
Zentrale politische Fragen sind für die Menschen in Island derzeit die der sozialen Absicherung: Ihre wirtschaftliche Situation, zu hohe Immobilienpreise und die Zukunft des Gesundheitssystems. Eventuell traut man hier also der sozialdemokratischen Sammlung die nötige Kompetenz zu. Kristrún Frostadóttir gab an, bereits in der Wahlnacht Gespräche mit anderen Parteien geführt zu haben. Es könne bereits im Laufe des Montags mehr Klarheit geben.
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