Wahlen in Hessen und Niedersachsen: Rot-Rot-Grün in Hessen möglich
In Hessen schlägt die SPD die CDU. SPD-Frau Ypsilanti könnte mit den Grünen und der Linken regieren, wenn sie wollte. Die Linke schafft den Einzug in beide Landtage. In Hannover bleibt Wulff im Amt.
HANNOVER/WIESBADEN dpa/rtr/afp/ap In Hessen zeichnet sich bei der Landtagswahl vom Sonntag ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Nach einer ZDF-Hochrechnung von 19.01 Uhr wird die SPD von Andrea Ypsilanti mit 37,0 Prozent stärkste Partei. Im Vergleich zur Wahl 2003 bedeutet dies ein Plus von etwa acht Punkten. Die bislang alleinregierende CDU von Ministerpräsident Roland Koch kommt mit 36,5 Prozent nur noch auf den zweiten Platz. Dies wäre ein Verlust von mehr als 12 Punkten. Die Linke kommt der Hochrechnung zufolge mit genau 5,0 Prozent erstmals in den Landtag. Die FDP verbessert sich auf 9,4 (7,9) Prozent. Die Grünen landen bei 7,7 (10,1) Prozent.
Die CDU sieht deshalb Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch trotz der herben Verluste weiter als Regierungschef. "Ich gehe davon aus, dass Roland Koch seine erfolgreiche Arbeit für Hessen weiter fortsetzen kann", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Sonntagabend weniger als eine Stunde nach Schließung der Wahllokale in Berlin. Er räumte ein, dass es der CDU nicht gelungen sei, das Thema Jugendgewalt "voll zu transportieren, weil Wähler vielleicht auch den Eindruck hatten, dass wir es hier zu einem Wahlkampfthema gemacht haben". Koch selbst hat die Hoffnung auf einen Wahlsieg noch nicht aufgegeben. Der CDU-Politiker riet am Sonntagabend in Wiesbaden, "bei allem Respekt" auch vor den anderen Parteien, erst das vorläufige amtliche Endergebnis abzuwarten.
Aber auch SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti hat sich zur Siegerin der Landtagswahl erklärt. "Wir haben für eine andere politische Kultur gekämpft, und wir haben gewonnen", sagte Ypsilanti am Sonntagabend in Wiesbaden: "Die Sozialdemokratie ist wieder da." Die SPD habe gezeigt, dass man mit den richtigen Themen eine Wahl gewinnen könne.
Hessens SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt bezeichnete den Sieg seiner Partei bei der Landtagswahl als Wunder. "Wir stehen vor einer Sensation, ich möchte fast sagen: vor einem Wunder", sagte Schmitt am Abend in der ARD. "Ich glaube, so etwas hat es in der Bundesrepublik ganz selten gegeben. Es war eine Stimmung, die mich fast ein wenig erinnert hat an Willy Brandt", fügte Schmitt hinzu.
Die Sozialdemokraten können in Hessen den bisher größten Stimmenzuwachs in diesem Bundesland verbuchen. Noch nie zuvor hat die hessische SPD ein Plus von rund 8 Prozentpunkten erreicht. Den bisher größten Gewinn in Hessen verzeichnete die SPD im Jahr 1958. Damals kamen die Sozialdemokraten auf ein Plus von 4,3 Punkten. Ihr bestes Ergebnis erzielte die SPD bei den Wahlen 1966. Damals kamen die Sozialdemokraten auf 51 Prozent der Stimmen.
Ihren bundesweit größten Gewinn holte die SPD 1994 mit plus 15,9 Punkten bei den Landtagswahlen in Brandenburg.
Die hessische SPD hatte allerdings bei der Wahl 2003 auch eine schwere Niederlage einstecken müssen: Sie verlor zweistellig (minus 10,3) und landete in ihrem früheren Stammland mit 29,1 Prozent erstmals unter der 30-Prozentmarke.
Der SPD-Spitzenkandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahl, Michael Naumann, hat die hohen Gewinne der SPD bei den Wahlen in Hessen als "sehr ermutigend" bezeichnet. Er sehe Parallelen zur Situation in Hamburg, sagte Naumann am Sonntagabend. "Als Andrea Ypsilanti angetreten ist, lag die SPD in Hessen bei 29 Prozent. Mit diesem Prozentsatz bin ich auch in Hamburg im März 2007 gestartet", sagte Naumann. "Jetzt liegen wir laut Umfragen zwischen 37 und 38 Prozent." Naumann will bei der Wahl am 24. Februar eine rot-grüne Mehrheit erreichen.
CDU- Fraktionsgeschäftsführer Axel Wintermeyer warf dagegen der SPD vor, einen "Schmutzwahlkampf" gegen Ministerpräsident Roland Koch (CDU) geführt zu haben.
In Niedersachsen können CDU und FDP ihre Regierungskoalition mit komfortabler Mehrheit fortsetzen. SPD und Grüne scheiterten dagegen klar mit ihrem Vorhaben, einen Machtwechsel in Hannover herbeizuführen, wie erste Hochrechnungen von ARD und ZDF am Sonntagabend ergaben. Die SPD rutschte demnach um mehrere Punkte ab und musste mit laut ARD nur 29,6 Prozent erneut das schlechteste Ergebnis in ihrer Nachkriegsgeschichte hinnehmen. Der Linkspartei gelang der erste Einzug in das Landesparlament eines westdeutschen Flächenstaates.
Die CDU mit Ministerpräsident Christian Wulff kam laut ARD-Hochrechnung dagegen auf 43,8 Prozent und kann so mit der FDP (8,1 Prozent) unangefochten weiterregieren. Die Grünen erhielten demnach ebenfalls 8,1 Prozent. Die Linke kam auf 6,6 Prozent
Das ZDF sah die CDU am Abend bei 42,3 Prozent, die SPD mit Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner kam etwas besser weg mit 30,9 Prozent - doch auch dies läge mehrere Punkte unter dem bislang schlechtesten Ergebnis von 33,4 Prozent aus der letzten Landtagswahl. Die FDP sah das ZDF wie die Grünen bei 8 Prozent, die Linken sogar bei 6,9 Prozent.
CDU-Spitzenkandidat Wulff erklärte seine Partei zum Wahlsieger. "Wir haben die Wahl gewonnen!", rief er seinen begeisterten Anhängern in Hannover zu. "Wir können gemeinsam mit der FPD dieses Land weiter gut regieren und Niedersachsen auf der Überholspur halten." Er erinnerte daran, dass man den Menschen in Niedersachsen "viel zugemutet, viel verändert, viel reformiert" habe.
Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) sagte, er sei froh, dass die Regierung bestätigt worden sei. Die niedersächsische FPD sei ein stabiler Faktor, das sei auch wichtig für die Bundespolitik. Man müsse nicht auf Große Koalitionen setzen.
Nach einem im Gegensatz zu Hessen eher sachlichen und konfliktarmen Wahlkampf war CDU und FDP bereits zuvor eine komfortable Mehrheit vorhergesagt worden. Die Wahlbeteiligung sank wohl wegen des bereits als klar erscheinenden Ausgangs allen Appellen zum Trotz laut ersten Prognosen um bis zu zehn Prozentpunkte.
Neben CDU und FDP gelang der Linkspartei ein Erfolg: Sie zieht laut den Hochrechnungen bei ihrer Wahlpremiere in Niedersachsen ins erste Landesparlament eines westdeutschen Flächenlands ein. Der Landesvorsitzende Dieter Dehm erklärte, die Wähler hätten verstanden, dass die Linkspartei als einzige Partei gegen Sozialabbau und deutsche Kriegsbeteiligung eintrete. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sagte am Sonntagabend in Berlin, der Wahlsonntag habe die politische Landschaft in Deutschland verändert. "Der heutige Tag ist für uns ein Durchbruch im Westen. Wir können es jetzt von Schleswig-Holstein bis Bayern in jedem Bundesland schaffen, in die Landesparlamente einzuziehen."
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) kommentierte im ZDF: "Das ist ein ganz klares Mandat für Christian Wulff, diese gute Arbeit weiterzuführen". Zum Einzug der Linken in den Landtag sagte sie: "Hier zeigt sich bei einer sehr schwachen SPD, dass sie die Themen der Linken aufgejazzt hat."
Die SPD musste dagegen das schlechteste Ergebnis seit 1947 hinnehmen. Bereits im Jahr 2003 erreichten die damals noch mit Sigmar Gabriel als Ministerpräsident angetretenen Sozialdemokraten nur 33,4 Prozent und mussten die Regierungsmacht nach 13 Jahren an CDU und FDP abgeben. Der ehemalige Landesinnenminister Heiner Bartling räumte die Wahlniederlage ein. "Wir haben die Wahl verloren", sagte Bartling im ZDF.
Die CDU hatte bei der Landtagswahl am 2. Februar 2003 48,3 Prozent errungen. Drittstärkste Partei wurde vor fünf Jahren die FDP mit 8,1 Prozent vor den Grünen mit 7,6 Prozent.
Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer zeigte sich mit dem Ergebnis in Niedersachsen zufrieden: Nach den ersten Hochrechnungen habe seine Partei das beste Ergebnis bei einer niedersächsischen Landtagswahl erreicht. Ausschlaggebend seien die Kernthemen der Grünen im Wahlkampf gewesen: Soziale Teilhabe sowie die Energie- und Klimapolitik. "Ich bin nicht unglücklich mit dem Ergebnis", sagte er in der ARD.
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