Wahlen im Iran: Gedrängel vor den Stimmlokalen
Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen bestätigt sich die Spaltung der Gesellschaft zwischen Reformern und Konservativen.
Die Szene vor dem Teheraner Wahllokal Nummer 220 ist in jeder Beziehung ungewöhnlich. Das mag zum einen am Wahllokal liegen. Mit ihrer überdimensionalen, türkisfarben gekachelten Kuppel mit persischem Blumenmuster und Koranzitaten lädt die Irschad-Moschee im Zentrum der iranischen Hauptstadt die Wähler ein. Und die sind in ungewöhnlich großer Zahl erschienen. Fast tausend Menschen warten geduldig in der Mittagssonne, bis sie an der Reihe sind. In der Moschee zeigen sie zunächst ihren Ausweis, der abgestempelt wird. Dann bekommen sie Stempelfarbe auf den Finger, den sie anschließend auf den Stimmzettel drücken müssen, bevor ihnen dieser überreicht wird. Vier Namen finden sich auf dem Stimmzettel: Präsident Mahmud Ahmadinedschad, sein größter Herausforderer Mir Hussein Mussawi und zwei andere Kandidaten, jeweils einer aus dem konservativen und dem reformistischen Lager.
In der Schlange vor dem Wahllokal finden sich fast nur Gegner Ahmadinedschads. "Ich wähle Mussawi, damit er unserem Land und dem Islam ein besseres Image verleiht", sagt die Rentnerin Masumeh Akbari. Dabei denke sie vor allem an die jüngere Generation. "Ich gehe das erste Mal in meinem Leben wählen. Nur wegen der Freiheit stehe ich hier lange in der Schlange." Auch die junge Sekretärin Psarwaneh Amini möchte mehr Freiheit für die jungen Leute und ein Land, das sich wieder dem Rest der Welt öffnet. "Mit dieser Wahl beginnt der Weg in eine demokratischere und freiere Gesellschaft", glaubt sie.
Ein paar Kilometer entfernt, in der Iman-Reza-Moschee, wartet eine andere Klientel. Das Wahllokal befindet sich in einem Viertel der unteren Mittelklasse Teherans. Statt schicker Kopftücher tragen die meisten Frauen in der Schlange hier den schwarzen Tschador. "Ich wähle Ahmadinedschad, weil er in seiner Amtszeit viel für die kleinen Leute getan hat", sagt die Hausfrau Parisa Ardahaneh. Der Automechaniker Ali Reza Begi stimmt zu: "Ich bin stolz auf Ahmadinedschad, weil er aus unserer Schicht kommt. Ich hoffe, dass er vor allem für junge Leute mehr Arbeit schafft und die Inflation unter Kontrolle bekommt."
Sie geben in ihrer Moschee ihre Stimmen unter den wachsamen Augen zweier lokaler Wahlbeobachter ab. "Wir sind hier, damit alles mit rechten Dingen zugeht", erklärt Qassem Honjati, der im Auftrag von Hussein Mussawi hier steht. Bisher sei nichts Auffälliges passiert. Er stelle vor allem sicher, dass Analphabeten nicht vorgegeben wird, wo sie ihr Kreuzchen machen. "Wenn mir etwas auffällt, dann muss ich zunächst mit dem Wahlleiter sprechen. Sollte es fortdauernde Verletzungen des Wahlrechts geben, dann würde ich einen Bericht schreiben und Mussawi würde die Ergebnisse dieses Wahllokales nicht akzeptieren."
Es dürfte dauern, bis ein Ergebnis vorliegt. Der große Andrang deutet auf eine sehr hohe Wahlbeteiligung hin. Gestern wurde die Öffnungszeit der Wahllokale schon mal um zwei Stunden verlängert, um den Ansturm zu bewältigen.
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