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Wahl in KanadaJob auf Bewährung

Jörg Michel
Kommentar von Jörg Michel

Obschon Justin Trudeau Wahlsieger ist, hat er sein Ziel der absoluten Mehrheit verpasst. Die Pandemie zu bewältigen, ist nun die zentrale Mission.

Justin Trudeau während der Wahlparty in Montreal Foto: Eric Bolte/epa

J ustin Trudeau hat sich mit Ach und Krach noch einmal über die Ziellinie gerettet. Anders als von vielen vorhergesagt, konnte der kanadische Premierminister bei den vorgezogenen Parlamentswahlen das Ruder auf den letzten Metern noch einmal herumreißen und sich trotz schlechter Umfragewerte eine dritte Amtszeit sichern. Von einem glorreichen Sieg kann allerdings keine Rede sein.

Denn sein eigentliches Ziel hat er verfehlt. Trudeau hatte hoch gepokert und zwei Jahre vor dem Ablauf der Legislaturperiode Wahlen ausgerufen, um sich eine absolute Mehrheit zu sichern. Das hat er nicht geschafft. Stattdessen ist er wie bisher auf die Hilfe der Opposition angewiesen, um wichtige Vorhaben durch das Parlament zu bringen und das Land aus der Coronapandemie zu führen.

Tatsächlich gleicht das Wahlergebnis des Jahres 2021 verblüffend dem von 2019 und viele Kanadier fragen sich: warum nur diese Wahl? Es ist eine Frage, auf die Trudeau den ganzen Wahlkampf über keine überzeugende Antwort geben konnte. Dass er dafür nicht härter abgestraft oder gar abgewählt wurde, hat er nicht sich selbst zu verdanken, sondern der Schwäche der Opposition.

Die Konservativen unter Parteichef Erin O’Toole holten nach einem engagierten Wahlkampf zwar die meisten Stimmen, konnten sich in den urbanen Zentren des Landes jedoch nicht durchsetzen und aufgrund des Mehrheitswahlrechts nicht genügend Sitze gewinnen. Die Grünen fielen trotz der klimabedingten Waldbrände im Westen des Landes auf den Status einer Splitterpartei zurück.

Die Botschaft der Wähler: Sie waren verärgert über den Machtpoker Trudeaus, am Ende aber doch nicht bereit, ihren Regierungschef mitten in der Pandemie auszuwechseln. Also haben sie über seine Skandale, charakterlichen Schwächen und Glaubwürdigkeitsprobleme hinweggesehen und ihn aufgefordert, den Job zu Ende zu bringen. Nach dem Motto: Hosenboden statt „sunny ways“.

Es ist ein Job auf Bewährung, denn Trudeau ist spätestens jetzt politisch angezählt. Mit viel Fleißarbeit wird er das Land nun aus der Pandemie führen müssen – seriös und ohne Glamour. Dass er das kann, hat er in den letzten eineinhalb Jahren gezeigt, denn Kanada steht heute besser da als viele andere Länder. Es ist Trudeaus Chance, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Womöglich seine letzte.

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Jörg Michel
Korrespondent
Berichtet seit 2010 für die taz als freier Korrespondent aus und über Kanada. Davor Studium der Politik, Volkswirtschaft und des Öffentlichen Rechts in Freiburg, Potsdam und Ottawa. Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Erfahrung als Redakteur in Berlin in den Resorts Wirtschaft, Politik und Parlamentsbüro.
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1 Kommentar

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  • So als unbekannter Beobachter kann man den Eindruck gewinnen das drei Amtszeiten zuviel sind. Die Amis haben schon recht - ach in Russland war es ja früher auch mal so !