Wagner an der Deutschen Oper Berlin: Der Mann am Klavier

Stefan Herheims „Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper Berlin lässt die nötige Distanz zum Wagnerschen Unsinn vermissen.

Auf einer Bühne zwei Männer: der rechte, in Rüstung, schwenkt ein langes Tuch

Aus der „Götterdämmerung“ mit Thomas Lehman als Gunther und Clay Hilley als Siegfried Foto: Bernd Uhlig

Jetzt sind sie angekommen, die Frauen und Männer, die ihre Koffer gepackt hatten, um auszuwandern. Überall könnte es besser sein und auf der Bühne der Deutschen Oper hatten sie Pause gemacht. Eine Art Festung war aus ihren abgestellten Koffern entstanden.

Zu sehen ist davon nichts mehr. Komplett integriert stehen die Flüchtlinge im Foyer der Deutschen Oper, das Stefan Herheim, der Regisseur, mit seiner Bühnenbildnerin Silke Bauer in einer exakten Kopie auf der Bühne nachgebaut haben. Auch ein Meisterwerk, aber der architektonischen Moderne und statt der Helden und Maiden von Richard Wagner sehen wir uns nur selber, in Abendrobe mit Sektglas in der Hand.

In Bayreuth sind bekanntlich die Pausen das Wichtigste. Man trifft sich unter seinesgleichen im Bewusstsein, sich Wagner leisten zu können, ideologisch und finanziell gleichermaßen.

Hier jedoch verdirbt die Lichtregie von Ulrich Niepel die Party. Grell rotes Blitzen lässt die feine Gesellschaft erstarren, drei weiß gekleidete Frauen mit schwarzer Augenbinde ziehen ein meterlanges Leichentuch herein, unter dem ein ganzer Konzertflügel Platz hat.

Ballett aus Händen, Armen und Hüften

Herheim blickt zurück. Der Konzertflügel stand schon am sogenannten „Vorabend“ dessen, was Wagner „Bühnenfestspiel“ nannte, mitten unter den Koffern. Einer der Wanderer schlug einen Ton an, ein tiefes „Es“, wie alle im Saal wussten. Endlose Minuten dehnte sich der Akkord auf diesem Grundton, die Flüchtlinge begannen zu tanzen, legten ihre verschmutzten Oberkleider ab und Wagners Natur wurde ein Ballett aus Händen, Armen und Hüften.

Heute gehört das Klavier den Nornen, denn auch Wagner blickt zurück. Das Mobile aus Stahlwolken, das die Optik des Foyers prägt, ist zur Weltesche geworden. Anna Lapowskaja, Karis Tucker und Alle Asszony erzählen mit ihren sehr schönen Stimmen alles von Anfang an. Und das Ende gleich dazu. Das mythische Seil des Schicksals reißt, das sie aus dem Leichentuch reihum zu spinnen versuchen. Niemand überlebt.

Flucht in die Fabelwelt

Man sieht, warum es so schwer ist, Wagners „Ring“ zu inszenieren. Er könnte ein Vorläufer moderner Seriendramaturgie sein, ist es aber nicht, weil solch krasse Spoiler jede Spannung abwürgen. Herheims Grundidee war für das „Rheingold“ und die „Walküre“ ein verblüffender Ausweg: Diese ganze Fabelwelt von Göttern, Zwergen und Riesen ist ein spielerischer, manchmal operettenhafter Spaß für Leute, die sich in der wirklichen Welt nicht wohl fühlen.

Der Mann am Klavier macht sie glücklich, alles kommt aus dem Kasten heraus, Zauberkünstler, Amazonen, Ehekrach, Diktatoren der Unterwelt, immer in spektakulären Arrangements von fließenden Tüchern und Strömen aus farbigem Licht.

Natürlich ist Richard Wagner selbst der Mann am Klavier. Es sind seine kleinen und großen Fluchten in Räume, in denen alles Platz hat, bei ihm vor allem Rassismus, Naturromantik und pubertäre Sexualität. Aber auch andere dürfen sich an die Tastatur setzen und reinhauen, was ihnen gerade gefällt. Wer irgend etwas davon ernst nimmt, ist halt selber schuld, gibt Herheim zu verstehen und empfiehlt, der Musik zuzuhören.

In der „Götterdämmerung“ jedoch lässt sich Wagner diese Befriedung seiner Polemik nicht mehr gefallen. Er meint es ernst. Die idealisierte Welt seiner Mythen muss untergehen, weil die Gibichingen schon jetzt die Gegenwart beherrschen, ordinäre und heimtückische Bürger. Sie heißen Hagen, Gunter und Gutrunde, stehen im Foyer der Oper herum und schauen zu, wie Brünhilde und Siegfried aus dem Klavier kommen.

Clay Hilley ist ein korpulenter Mann mit gewaltätiger Tenorstimme, Nina Stemme eine schüchterne Frau, deren Sopran manchmal unter Wagners Anforderungen leidet. Macht nichts, weil es sehr gut zusammen passt, trägt aber nicht über die drei Akte hinweg, die sich nun in mühselige Längen ziehen. Denn für die Intrigen der neuen, eigentlich alten Herrschaften hat Herheim keine Mittel.

Sie brauchen den Mann am Klavier nicht, der Kofferberg ist hinter einer schwarzen Wand versteckt, die sich nur manchmal öffnet. Am Ende sind sämtliche Kulissen abgeräumt, Niepel lässt seine Scheinwerfer herabfahren. Sie blenden kurz in den Saal und verlöschen dann auch.

Dämmerung im Wortsinne also, wie es überhaupt Herheims Art ist, alles penibel beim Wort zu nehmen. Nur fehlt jetzt das Theater, das die nötige Distanz zum Unsinn erzeugt hat. Übrig bleibt der Rat, der Musik zuzuhören. Das lohnt sich bis zuletzt. Donnald Runnicles ist es meisterhaft gelungen, sein Orchester mit solcher Plastik und sensibler Energie spielen zu lassen, dass man gebannt zuhört und staunt, mit welcher Kunst Wagner, dieser Berserker des Textes, seine Musik komponiert hat. Dafür zu Recht dankbarer Applaus. Herheim wurde ein wenig ausgebuht, aber das gehört sich so in der Oper.

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