: Wäre sie doch früher explodiert
„Hit me baby one more time“: Im Berliner Ensemble nutzt „It’s Britney, Bitch“ von Sina Martens und Lena Brasch den Star für ein leidenschaftliches Stück über „Wahrheit und Wahrhaftigkeit“
Von Jenni Zylka
Ob Britney Spears ihr Leben reflektiert, weiß man nicht. Anzunehmen ist es. Vielleicht grübelt sie, was die Textzeile „I was born to make you happy“ bedeutet, wenn man sie seinem – im nicht-sexuellen Sinn – missbräuchlichen Vater vorsingt. Vielleicht steht sie, wie die Schauspielerin und Autorin Sina Martens, die das Einpersonenstück „It’s Britney, Bitch!“ mit der Autorin und Regisseurin Lena Brasch schrieb, in einem Zimmer oder auf einer Bühne und überlegt: „Es fühlt sich komisch an, wenn ich Nein sage.“ Vielleicht denkt sie über ihre Haare nach. Oder über ihre Sucht.
Der Popstar Britney Spears eignet sich in jedem Fall gut für einen, wie es im Programmheft heißt, Abend „über Wahrheit, Wahrhaftigkeit und die Britney in uns allen“. Denn allein durch die Popularität ihrer Songs steckt Britney tatsächlich in uns allen – und in Britney steckt drin, was die beiden Theaterfrauen als furiosen Rundumschlag auf die kleine, quadratische, zunächst von glitzernden Vorhängen gesäumte Bühne (im Werkraum des Berliner Ensembles) bringen: Brasch und Martens tranchieren Britney (deren Vorname, wie bei vielen Stars, zur Distinktion reicht) und binden die einzelnen Stücke an Popsongs. Die dann von der energetischen Martens zu einem düsteren Klanggerüst vorgetragen werden und ihre Monologe in Kapitel einteilen.
„Slave“ zum Beispiel, der Britneys Probleme – jahrelang unter der Vormundschaft jenes Vaters, entzogenes Sorgerecht für die Kinder, angeblich erzwungene Auftritte – auf der direkten und der Metaebene beschreibt. Denn der Begriff des Sklaven ist interpretierbar – des Vaters, der Fans, des eigenen Ehrgeizes, des „Systems“.
Seine historisch-politische Konnotation enthält zudem, was die weiße blonde Popprinzessin Britney nicht ist. Popstartypischer Narzissmus steckt ebenfalls darin, Gefall- und die Sehnsucht, geliebt zu werden. „Komm liebe mich“, fordert Martens die Zuschauer:innen auf, denn: „Wir müssen verstehen, wie wir lieben.“
„Too high, can’t come down“, heißt es in „Toxic“ und lädt zum Sucht-Diskurs. Weibliche Stars sterben nicht an Drogen, stellen Brasch und die Martens-Britney fest, weibliche Stars sterben an Liebeskummer. Sogar im Tod bleiben sie passiv – es ist nicht das Heroin, das Amy sich selbst injiziert hat, es ist Blake. (Jimi Hendrix dagegen war ein Mann und liebte nur die Fender Stratocaster.) Martens rezitiert einen Text der Schauspielerin und Dramaturgin Laura Dabelstein: „Toxic war so viel früher als all eure toxische Männlichkeit.“
Woran Britney gedacht hat, als sie den Song sang, als sie für das Video im durchsichtigen Diamanten-Catsuit in einem etwas albernen Agentinnenplot herumturnte, ist nicht bekannt. Martens und Brasch erwähnen aber jenes Bild, das – im klassischen „Frauenkörper sind sündig“-Narrativ – zur Programmierung im MTV-Spätprogramm führte. Und lassen den Begriff der toxischen Männlichkeit offen – vielleicht ist der Vater gemeint, vielleicht Britneys Ex Justin Timberlake. Der sich angeblich wegdrehte, als Britney damals, bei den Video Music Awards 2003, öffentlich Madonna pseudoküsste.
Martens, die sich dafür einer blonden Perücke entledigt hat, jedoch darunter eine Britney-Glatze trägt, erzählt den Pseudo-Skandal, von dem man selbst als Zeitzeugin kaum verstand, wie er zustande kam, in einem hochkomischen Selbstgespräch. Da sind die Glitzervorhänge schon gefallen, weil Martens kurz zuvor Britneys Wut am Bühnenbild ausließ. Endlich, denkt man – wäre Britney, die inzwischen „#free“ ist, doch bloß schon früher explodiert. (In Wirklichkeit, da hat sich das Stück die nötige Kunstfreiheit genommen, drehte sich Timberlake bei den VMA übrigens nicht weg. Es gab auch einen Kuss zwischen Madonna und Christina Aguilera, Madonna und Missy Elliott trugen schwarze Smokings, Britney und Christina weiße Brautkleider, und im Hintergrund thronte eine „Wedding Chapel“: eine lesbische Doppelhochzeit.)
„Mir geht’s ganz gut“, sinniert die von der ersten bis zur letzten Sekunde absolut brillante Pseudo-Britney am Ende ihrer Performance versonnen, „ich hab’ne Bühne und’n Trauma …“
Die einzige Schwäche an dem leidenschaftlichen Stück ist die fehlende örtliche und somit gesellschaftliche Differenzierung: Martens’ und Braschs Überlegungen werden vom US-Setting strukturiert. Denn dort fragen Journalisten, über die sich Martens in einem Rant echauffiert, eine 18-Jährige nach Jungfräulichkeit und Brust-OPs, dort macht ein Bühnenkuss zwischen zwei erwachsenen Frauen Schlagzeilen, dort könnte ein neuer Gesetzentwurf die Vormundschaftsthematik ändern. Die Probleme der inneren Britney lassen sich dennoch auch hier nachvollziehen.
Wieder im Berliner Ensemble 13./15./16. Januar, 14./21.Februar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen