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Wählergemeinschaften in NiedersachsenDie Erben der Volksparteien

Vor den anstehenden Kommunalwahlen wächst die Zahl unabhängiger Wählergemeinschaften, zum Teil liegen sie bei 50 Prozent. Was machen sie anders?

Wollen nicht verknöchert wirken: unabhängige Wählergemeinschaften wie Kalli-Eco Foto: Mel Flower Teamfoto

Hamburg taz | Wenn man derzeit in Niedersachsen unterwegs ist, springen einen überall Wahlplakate an. Denn dort wählen die Bür­ge­r:in­nen vor der Bundestagswahl bei den Kommunalwahlen am kommenden Sonntag auch noch Kreistage oder Stadt- und Gemeinderäte.

Auffällig dabei: Nicht nur Parteien werben für ihre Kandidat:innen, sondern auch unabhängige Wählergemeinschaften, sogenannte UWGs. Zum Beispiel im Ortsteil Sammatz der Gemeinde Neu Darchau im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Dort stößt man auf Plakate von „KalliEco“. Ihr Anliegen ist es, die Schönheit der Natur mehr in den Fokus der Debatte um Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu rücken. Deshalb treten sie erstmals als UWG zu den Kommunalwahlen an.

„Wählergemeinschaften sind eine Spezialität des Kommunalwahlrechts, die es nicht nur in Niedersachsen gibt“, sagt der Politikwissenschaftler Markus Tepe. Er ist Professor für das politische System Deutschlands an der Universität in Oldenburg und forscht mit seinem Team unter anderem zu den Kommunalwahlen in Niedersachsen. UWGs seien von politischen Parteien abzugrenzen, weil sie nicht auf Landes- und Bundesebene antreten. Die Grundidee der Wählergemeinschaften ist, ein niedrigschwelliges Angebot zu machen und sich mit Fokus auf lokale Themen politisch zu beteiligen.

In Niedersachsen entsteht der Eindruck, dass Wählergemeinschaften immer präsenter werden. Stimmt das? Eine erste Auskunft geben Daten von der Landeswahlleitung: Lag die Zahl der Be­wer­be­r:in­nen zur Kommunalwahl 2016 bei knapp 13.000, hat sie sich zur anstehenden Wahl auf knapp 15.000 erhöht – ein Plus von fast 16 Prozent. Die Zahl der Bewerbungen aus Parteien stieg hingegen nur um knappe 4 Prozent.

Durchschnittlicher Stimmenanteil von 12 Prozent

Eine Tendenz, die auch Markus Tepe bestätigt: „Insgesamt beobachten wir ein kontinuierliches Wachstum von UWGs, sowohl beim Antreten als auch bei den die Stimmanteilen.“ Demnach trat 2016 in knapp 80 Prozent der Kommunen mindestens eine Wählergemeinschaft an. Ein Phänomen, das in der Fläche zu beobachten sei, ohne Cluster oder Ballungsgebiete, unabhängig von Stadt oder Land. Im Durchschnitt erreichten die UWGs dabei einen Stimmanteil von rund 12 Prozent: „Natürlich sehen wir auch manche Kommunen, in denen Wählergemeinschaften nur als Randphänomen oder gar nicht auftreten. In anderen liegen sie dann bei über 50 Prozent.“

Für den Erfolg der Wählergemeinschaften gibt es dem Politikwissenschaftler zufolge im Wesentlichen zwei Gründe: „Zum einen beobachten wir schon längere Zeit, dass die vermeintlich etablierten Parteien, die Volksparteien, an Boden verlieren und die Parteienbindung nachlässt.“ Das Phänomen einer stabilen Stammwählerschaft nehme ab, wodurch gleichzeitig Raum für neue politische Akteure entstehe. In diesen Raum drängten die UWGs.

Zum anderen böten sie eine andere Form der Beteiligung an: „In vielen Fällen treten UWGs als eine Art Gegenentwurf zu den Parteien an. Dabei spielen sie mit einem Image, das die Parteien als verknöchert und die Wählergemeinschaften als neu und agiler darstellt. Sie wollen eine lokal-fokussierte Form der politischen Beteiligung anbieten, jenseits von Parteigezänk und ideologischen Großfragen.“

Vielfältige Motive

Die Motive, eine Wählergemeinschaft zu gründen, seien vielfältig. „Eine Reihe der UWGs entsteht aus Bürgerinitiativen zu einem lokalen Anliegen, sei es der Bau eines Radwegs oder das Verhindern einer Windenergie-Anlage“, erklärt Tepe. „Es kann aber auch sein, dass sich eine Ratsfraktion zerstritten hat und die UWG sich aus den Abtrünnigen bildet.“

Einiges von dem, was Markus Tepe erzählt, findet man auch wieder, wenn man mit Johann-Michael Ginther von Kalli-Eco spricht: Die Wählergemeinschaften entstand aus einer lokalen Community, die sich auch als politische Bewegung sieht. Einige aus der Community wollten sowieso kandidieren, doch bei den etablierten Parteien hätte das inhaltlich nicht gepasst. Bei den Grünen etwa widersprächen lokale Themen manchmal der Grundlinie der Partei, sagt Ginther. Deshalb haben er und seine Mit­strei­te­r:in­nen die eigene Wählergemeinschaft gegründet. Genau so präsentieren sich die unabhängigen Wählergemeinschaften: weniger Parteipolitik, stattdessen Handeln vor Ort.

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