Wadi hilft IS-Opfern im Nordirak: Sich ins Leben zurücktasten

Vor einem Jahr verschleppte der IS 5.000 jesidische Frauen und Mädchen. Mehr als 800 sind freigekommen. Die NGO Wadi kümmert sich um sie.

Die Kurdin Cheman Rahid unterhält sich in Dohuk mit jesidischen Mädchen. Foto: dpa

FRANKFURT/DOHUK dpa | Weil das Leid so groß war, ist schon ein kleines Lächeln ein Schritt zurück ins Leben: Im Nordirak versucht Cheman Rashid, jesidischen Mädchen ein wenig Freude zu machen. Die 50-jährige Kurdin ist mit mobilen Teams der Hilfsorganisation Wadi in der Region unterwegs. Jeweils zwei Frauen kümmern sich in Flüchtlingslagern um Jesidinnen, die von Angehörigen der Terrormiliz Islamischer Staat verschleppt worden waren.

„Das Leben ist sehr schwer für sie“, sagt Rashid in einem Gespräch über den Internet-Dienst Skype. „Sie haben zu viel gesehen. Manche wurden vor den Augen der anderen vergewaltigt. Das lässt sich kaum vergessen.“

Wadi hat seinen Sitz in Frankfurt am Main. Der arabische Name bedeutet Flussbett. „Wir wollen Wasser ins trockene Flussbett bringen, damit es wieder grünt“, sagt der Leiter der Hilfsorganisation, Thomas von der Osten-Sacken.

Die Arbeit der drei mobilen Teams in den von Kurden kontrollierten Gebieten im Nordirak begann im September 2014. Sie wird vom Entwicklungshilfeministerium (BMZ) mit 377.000 Euro unterstützt. „Das Vorhaben leistet einen wichtigen Beitrag zur Behandlung von traumatisierten Binnenvertriebenen im Nordirak“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums.

Im Juli richtete Wadi zusätzlich ein Tagesbetreuungszentrum in Dohuk ein. „Sie sollen tagsüber eine schöne Umgebung vor Augen haben, nicht ständig das Elend der Flüchtlingslager“, erklärt von der Osten-Sacken. „Sie können dort das Friseurhandwerk erlernen, Handarbeiten machen oder an Computerkursen teilnehmen.“

Auch Kinder werden vergewaltigt

Das jüngste Mädchen, das von Cheman Rashid betreut wird, ist erst ein Jahr alt. Die Kleine sei auch vergewaltigt worden. „Sie weiß noch gar nichts vom Leben und erfährt gleich diese Gräuel“, sagt die Wadi-Helferin. „Für die Drei- bis Fünfjährigen aber ist es am schlimmsten. Sie stehen unter Schock.“

Der Traumatisierungsexperte Jan Ilhan Kizilhan von der Hochschule Villingen-Schwenningen spricht hier von der Altersphase, „in der Kinder besonders verletzlich sind und später psychische Erkrankungen entwickeln, die ihre Persönlichkeit verändern“. Dazu gehöre auch die Entwicklung einer ängstlich-vermeidenden, instabilen Persönlichkeit. Dann werde es für sie sehr schwer, im Leben Fuß zu fassen.

Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen wurden im vergangenen Jahr 5.000 Mädchen und Frauen der Minderheit der Jesiden verschleppt. „Inzwischen sind 800 bis 900 zurückgekehrt“, sagt von der Osten-Sacken. Etwa jede zweite sei als Sexsklavin missbraucht worden. „Ältere Frauen mussten auch durch die Hölle, haben aber nicht das erlebt, was jüngere Mädchen durchgemacht haben.“ Manche Jesidinnen seien einfach geflohen. Andere seien von ihren Familien freigekauft worden. So gebe es Zwischenhändler in Mossul mit Kontakten sowohl zu jesidischen Familien als auch zum IS.

Baden-Württemberg nimmt mehr jesidische Flüchtlinge auf

Die psychosoziale Hilfe von Wadi sei vor allem für Kinder sehr wichtig, sagt Kizilhan. Schwer traumatisierte Mädchen, „die in den Händen des IS waren, gefoltert, vergewaltigt und verkauft wurden“, benötigten aber eine professionelle Psychotherapie, die im Irak zurzeit nicht möglich sei. Der jesidische Wissenschaftler ist an einem Projekt von Baden-Württemberg beteiligt, bis zu 600 IS-Opfer aus Syrien und dem Irak in dieses Bundesland zu bringen.

Hilfe vor Ort aber habe den Vorteil, dass sie „nur einen Bruchteil dessen kostet, was für diese Frauen in Deutschland ausgegeben wird“, sagt Friederike Regel von der Hilfsorganisation Jiyan, die mit Wadi zusammenarbeitet. Jiyan (der kurdische Name bedeutet Leben) will im September die erste Klinik für Frauen im Nordirak eröffnen, die der Gefangenschaft der Terroristen entkommen sind.

Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das ein Sonderkontingent von jesidischen Flüchtlingen aufnimmt. „Hilfreich wäre, wenn es auch in anderen Bundesländern größere Kontingente für diese nachweislich verfolgte und an Leib und Leben bedrohte Volksgruppe gäbe“, sagt die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). „Das Leid dieser Menschen ist unermesslich, und ihre Not ist erwiesenermaßen unbeschreiblich groß.“

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