■ Indonesien: Die Chinesen fungieren als Sündenböcke für die Krise: Wackelt Suhartos Regime?
Im riesigen indonesischen Inselreich, das sich 5.000 Kilometer von Ost nach West erstreckt, explodiert täglich der Volkszorn. Da gehen plötzlich, ohne Vorwarnung, in irgendeinem Ort ein paar Dutzend oder auch hundert Menschen auf die Straße. Mal in Ostjava, mal auf der Insel Flores oder mal auf Sumbawa. Sie versammeln sich vor einem Lebensmittelgeschäft, beschimpfen die Kaufleute, weil der Reis oder Zucker wieder teurer geworden sind oder kein Speiseöl mehr im Regal steht. Schon fliegen Steine, brennen Geschäfte, Autos und vielleicht auch eine Kirche.
Die verängstigten Besitzer und Bewohner der Häuser, chinesisch-stämmige Geschäftsleute und ihre Familien, verkriechen sich bei den Nachbarn oder bei der Polizei. Nach einer Weile kommen Polizisten und Soldaten, schauen sich das eine Weile an, schießen in die Luft oder auch auf die Menge und verhaften einige Brandstifter. Am nächsten oder übernächsten Tag herrscht wieder unruhige Stille. Einige Chinesen packen ihre Koffer, andere versuchen, sich möglichst unsichtbar zu machen und den unkalkulierbaren Krawallen zu entgehen. Die Katastrophe scheint unausweichlich: Ein Ende der dramatischen Preissteigerungen ist nicht abzusehen. Neue Jobs sind nicht in Sicht. Die Armut wird immer beißender. Die Ohnmacht ist perfekt.
Die Chinesen erinnern sich in diesen Tagen an die Pogrome vor dreißig Jahren. Damals galten die Opfer als „5. Kolonne Pekings“, heute sind sie die „Ausbeuter“. Wie in Trance treibt Präsident Suharto, der seit 32 Jahren mit Hilfe des Militärs herrscht und sich unbeirrt an die Macht klammert, das Land immer weiter in die Misere. Um sich und seinen reichen Clan vor dem Zorn der Armen zu retten, nimmt er sogar in Kauf, daß seine chinesischen Geschäftsfreunde, mit denen er teilweise vierzig Jahre politisch und finanziell eng verbunden ist, zu Sündenböcken werden. Noch ist er so mächtig, daß ihm kein General widerspricht. Wie viele Häuser müssen brennen, bis sich das ändert?
Die große Frage ist, ob die Unruhen sich auch gegen gegen Suharto wenden werden. Solange sich die Wut an den Chinesen austobt, wird sie sich nicht gegen die wirklich Verantwortlichen richten. So ist bislang nicht absehbar, daß Suhartos Regime wirklich erschüttert wird. Jutta Lietsch
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