Wackelnde Wehrgerechtigkeit: Einer von zweien ist untauglich
Laut Bundesverteidigungsministerium war 2007 fast die Hälfte der Gemusterten ungeeignet für die Bundeswehr. Diese Zahl wird allerdings angezweifelt.
BERLIN ap/taz Beinahe jeder zweite junge Mann in Deutschland ist untauglich zum Dienst bei der Bundeswehr. Zu diesem Ergebnis kommt dem Handelsblatt zufolge der jüngste Musterungsbericht des Bundesverteidigungsministeriums. Bei der Musterung im vergangenen Jahr seien lediglich 54,9 Prozent der Untersuchten für tauglich befunden worden, bestätigte das Ministerium am Dienstag. Dass diese so genannte Untauglichkeitsrate politisch gewollt sei, wie die Zeitung unter Berufung auf Kritiker weiter berichtet hatte, wies ein Sprecher aber zurück.
"Die Bundeswehr ist an Recht und Gesetz gebunden und kann demnach nicht willkürlich handeln", erklärte er. Allerdings sei von der rot-grünen Bundesregierung zum Oktober 2004 die Tauglichkeitsstufe T3 - mit Einschränkung wehrdienstfähig - abgeschafft worden. Dies sei eine Reaktion auf die Neuausrichtung der Bundeswehr gewesen, mit der sich der Bedarf an Personal geändert habe. Eingezogen worden waren T3-Taugliche allerdings bereits 2004 nicht mehr.
Den Geschäftsführer der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung, Peter Tobiassen, zitierte das Handelsblatt mit der Behauptung, das Ministerium wolle Wehrpflichtige aus der Statistik herausrechnen. Dadurch solle der Anschein von Wehrgerechtigkeit gewahrt werden. Dass bald jeder zweite Wehrpflichtige nicht mehr für die Landesverteidigung infrage kommen soll, sei - trotz aller Debatten um übergewichtige Bürger - alles andere als realistisch, so Tobiassen: "Im europäischen Ausland liegt die Untauglichkeitsquote im Schnitt bei acht bis zwölf Prozent. Warum soll das ausgerechnet in Deutschland anders sein."
Von insgesamt 451.300 gemusterten Wehrpflichtigen genügten im vergangenen Jahr nur 54,9 Prozent den körperlichen und psychischen Anforderungen. 41,9 Prozent der Gemusterten waren untauglich. Etwas mehr als drei Prozent erwiesen sich dem Ministeriumsbericht zufolge zumindest vorübergehend als nicht einsatzfähig.
Mit dem nachlassenden Bedarf ist der Zeitung zufolge die Zahl der Untauglichen beständig gewachsen, von 16,9 Prozent im Jahr 2002 über 32,6 Prozent (2004) auf 41,9 Prozent im vergangenen Jahr.
Leser*innenkommentare
Andreas Suttor
Gast
Es greift zu kurz, dem BmVg Wehrungerechtigkeit zu unterstellen. Natürlich besteht de facto kein Bedarf mehr an Wehrpflichtigen, seit die Zeit der Massenarmeen des Kalten Krieges vorüber und der Soldatenberuf ein High-Tech-Beruf mit langer Ausbildungszeit ist. Andererseits muß ja an der Wehrpflicht festgehalten werden - damit der riesige Bedarf an Zivildienstleistenden nach wie vor befriedigt werden kann, die als billige Arbeitssklaven in zum Teil fragwürdigen Bereichen eingesetzt werden.
Andererseits führt nun mal nichts an der Tatsache vorbei, daß der oben erwähnte High-Tech-Beruf gerade unter den Vorzeichen von weltweiten Einsätzen auch höhere gesundheitliche Anforderungen stellt. Und daß die Quote der Untauglichen hierzulande höher ist als bei den Nachbarn, zeigt vielleicht nur, daß man hier eher auf diese veränderten Anforderungen reagiert hat!
Konrad
Gast
Aus eigener Erfahrung denk ich das es durchaus realistisch ist.
Von meinen Freunden wurden sowohl die (Leistungs)Sportler als auch Gebrechlichen/körperlich gänzlich Untätigen ausgemustert. Nur die die sich so irgendwie dazwischen befinden wurden genommen.
Denn alle die ein bißchen mehr Sport machen, hatten Probleme mit ihrem Knie/Knöchel etc. und das war den Musterungsärzten zu heikel.
Ich wurde ausgemustert (T3) weil mein (völlig untrainierter PC-Arbeiter)Rücken möglicherweise nicht mehr als 20kg tragen könnte. (der danach aufgesuchte Orthopädiefacharzt meinte er ist ok, solang ich in meinem Leben nicht als Maurer arbeiten will).
Will sagen, ich wundere mich dass es nicht noch weniger sind, die gemustert werden.
"Wehrgerechtigkeit", hmm nettes Wort