WORTKUNDE:
Lügensachen
Als Heiner Geißler die SPD einst als antiamerikanische Partei darstellte, die sich zum Handlanger der Sowjets mache, sagte Willy Brandt über Geißler: „Ein Hetzer ist er, seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land.“ Das war ein Maximum an Beleidigung, aber so formuliert, dass man Brandt nicht an den Karren fahren konnte. Er hatte nicht „wie“, sondern „seit“ gesagt. Fair war das nicht, ein klassischer Fall von Verunglimpfung also: Eine ungerechte, verleumderische Beschuldigung, die jemanden in Ansehen, Ehre und gutem Ruf herabsetzen soll.
Das Substantiv zum Verb heißt Unglimpf und bedeutet ursprünglich Mangel an Nachsicht, Ungunst, Unliebenswürdigkeit. Und wo es den Unglimpf gibt, da gibt’s auch den Glimpf: Johann Michael Moscherosch schrieb 1640 über böse Menschen, „die andern ihren klimpff abschneiden und sie mit ihren lügensachen angeben und verdächtig machen“.
Derzeit gilt der Glimpf als fast untergegangenes Wort. Wir sollten ihn hegen. Nur wo Schonung, Nachsicht, Angemessenheit gepflegt werden, hat auch der Unglimpf seinen Platz.
Ulrich Gutmair
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