WOHNUNGSBAU IN BERLIN II: "Hier gibt es keine Banlieue"
Wenn es bezahlbare Neubauwohnungen geben soll, braucht man ein neues Förderprogramm, sagt Degewo-Chef Frank Bielka.
taz: Herr Bielka, auch die Degewo feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum der Neuköllner Gropiusstadt. Sind Sie denn froh, dass die Großsiedlung endlich wieder Aufmerksamkeit bekommt?
Frank Bielka: Ja. Wie alle Großsiedlungen wurde auch die Gropiusstadt am Anfang als sozialpolitische Tat bejubelt. Endlich ein Bad und eine Heizung! Das hat sich sehr schnell gedreht. Mittlerweile haben wir mindestens 40 Jahre kritische Diskussion über Großsiedlungen hinter uns. Jetzt aber wird die Diskussion offener. Da kommt natürlich der 50. Geburtstag der Gropiusstadt sehr gelegen.
Was ist das Besondere an der Gropiusstadt?
Sie ist die Berliner Wohnsiedlung, die am stärksten auch einen städtebaulichen und architektonischen Impuls hat. Andere Siedlungen werden Sie so schnell mit keinem Architekten oder Städteplaner in Verbindung bringen. In der Gropiusstadt ist die Philosophie von Walter Gropius spürbar. Wir sind gerade dabei, diesen Impuls wieder wachzuküssen. Das Einzelhochhaus in einer Landschaft, das wollen wir aktualisieren und verstärken.
Hat also „Gropius 2.0“ Christiane F. als Image abgelöst?
Christiane F. ist noch in den Köpfen der Älteren. Wenn Sie die Jugendlichen fragen, wissen die gar nicht, wovon Sie reden. Das ist Geschichte, wenn Sie so wollen. Gropius 2.0? Ja!
64, ist Geschäftsführer der Degewo, der mit 72.000 Wohnungen
größten der sechs Berliner Wohnungsgesellschaften. Für die
SPD war er Staatssekretär der Finanz- und der Stadtentwicklungsverwaltung.
Sie haben als Degewo in der Gropiusstadt auch den Bildungsverbund initiiert. Ist das nicht eigentlich die Aufgabe der Bildungsverwaltung?
Das Problem der Verwaltung ist oft die mangelnde Bereitschaft, über die Ressortgrenzen hinauszuschauen. Das sage ich als jemand, der in verschiedenen Verwaltungen gearbeitet hat. Das Thema des Bildungsverbunds ist Koordination. Offenbar klappt das besser, wenn es jemand außerhalb der Verwaltung macht. Da sind wir als kommunale Wohnungsgesellschaft freier.
Was heißt das konkret?
Wir haben uns die Faktoren vorgenommen, die das Quartier beeinflussen. Da kommen Sie auf ein Dutzend Faktoren, und ein ganz wichtiger davon ist die Bildung. Nun können wir als Degewo nicht in die Schulen gehen. Aber wir können Schulen, Senatsverwaltungen und Bezirk an einen Tisch bringen. Und plötzlich entsteht eine Aufbruchstimmung, die viele mitzieht.
Wie viel lässt sich Ihr Unternehmen das kosten?
Weniger, als Sie denken. Wenn ich die Sanierung nicht dazuzähle, haben wir insgesamt an den drei Standorten von Bildungsverbünden der Degewo ein paar hunderttausend Euro reingegeben. Aber der entscheidende Punkt ist die Kreativität und der Wille, etwas durchzusetzen, nicht das Geld.
Welche Erfolge kann der Bildungsverbund verzeichnen?
Wir hatten lange eine ganz merkwürdige Situation: Viele Eltern aus Nordneukölln mit Migrationshintergrund schicken ihre Kinder in die Gropiusstadt zur Schule. Gleichzeitig schicken viele Biodeutsche, wie es scherzhaft heißt, ihre Kinder nach Treptow-Köpenick. Das ist für ein Quartier überhaupt nicht gut. Es wäre besser, wenn die, die da sind, bleiben und noch andere dazukommen. Aber jetzt hat sich da was geändert. Erstmals seit Langem gibt es wieder in nennenswertem Umfang Schulanmeldungen aus der Gropiusstadt selbst.
Der Leerstand der Gropiusstadt geht inzwischen gegen null, auch immer mehr Besserverdienende ziehen dorthin. Befürchten Sie mittelfristig auch Aufwertung und Verdrängung?
Das ist eine Gratwanderung. Natürlich hatten wir lange Phasen der Segregation. Die Mittelschichten gingen weg, die sozialen Probleme wurden größer. Wenn jetzt die Mittelschichten wieder zurückkommen, ist das keine Verdrängung. Wir nähern uns eher wieder dem Zustand der Mischung. Unsere Stärke als städtische Gesellschaft ist, dass wir genau diese Mischung herstellen wollen. Das heißt aber auch, dass wir uns denen verpflichtet fühlen, die bedrängter sind. Einem Privaten können Sie das nicht vorschreiben.
Die Degewo möchte in der Gropiusstadt 400 Wohnungen neu bauen. Wissen Sie schon, wo?
Wir haben einen Architektenwettbewerb gemacht und verschiedene Standorte geprüft. Nun stehen die Standorte fest. Alle übrigens auf Degewo-eigenen Grundstücken. Die Architektur soll die Grundstruktur der Gropiusstadt erhalten.
Wie hoch wird die Miete sein?
Im Schnitt 8,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt.
Können Sie sicherstellen, dass eine Wohnung, die leer wird, weil ein Degewo-Mieter in einen der Neubauten zieht, zum alten Preis wieder vermietet wird?
Nein, das kann ich nicht sicherstellen. Ich muss auch über Neuvermietungszuschläge nachdenken. Aber die müssen sich natürlich im Rahmen des Mietspiegels bewegen. Wenn Sie sich unsere bisherige Neuvermietungspraxis ansehen, merken Sie, dass wir das sehr moderat machen.
Anfang September hat der Senat mit Ihnen und den anderen fünf städtischen Gesellschaften ein Bündnis für bezahlbare Mieten vereinbart. Wessen Miete 30 Prozent des Nettoeinkommens überschreitet, kann eine Mieterhöhung ablehnen. Gibt es da schon eine erste Bilanz?
Wir haben vor zwei Wochen die Mieterhöhungen rausgeschickt. Für knapp 13.000 Wohnungen. Im Schnitt wird bei denen die Miete um 12 Euro erhöht. Die Degewo hat 72.000 Wohnungen. Da ist es noch zu früh für eine Bilanz.
Insgesamt soll das Mietenbündnis die sechs landeseigenen Gesellschaften 100 Millionen Euro kosten. Wie viel davon entfällt auf die Degewo?
Wir rechnen mit etwa 20 Millionen. Aber das ist eine Schätzung. Ob sie stimmt, werden die nächsten Monate zeigen. Wir wissen zum Beispiel gar nicht, wie die Einkommensverhältnisse unserer Mieter wirklich sind. Die Mieter, die den Eindruck haben, dass sie über Gebühr belastet werden, müssen jetzt aktiv werden.
Was ist von diesen 20 Millionen der größte Punkt? Die Mietkappung wegen der Einkommen? Oder die Begrenzung der Modernisierungsumlage von 11 auf 9 Prozent?
Die 9 Prozent interessieren fast gar nicht, weil wir auch in der Vergangenheit bei Modernisierungen nie an die Grenze gegangen sind. Stärkere Einschnitte erwarten wir durch die Regel, dass wir nur noch 15 Prozent in vier Jahren erhöhen können.
Bisher waren es 20 Prozent in drei Jahren.
Ja, der Senat war der Meinung, dass das, was er in seiner Bundesratsinitiative fordert, von den eigenen Gesellschaften schon mal vorab umgesetzt wird.
Wenn wir noch einmal beim Mietenbündnis bleiben: Innerhalb des S-Bahn-Rings soll künftig jede zweite Wohnung an Wohnungssuchende vergeben werden, die den Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) haben. Können Sie da schon sagen, wie hoch die Nachfrage ist?
Auch da ist es zu früh für eine Bilanz. Wir haben aber im Frühjahr versucht, anhand der Neuvermietungszahlen abzuschätzen, wie hoch der Anteil derer ist, die einen WBS bekommen würden. Grundlage waren die Angaben der Mieter über ihre Einkommen, die sie bei der Bewerbung abgeben. Wir haben in allen Quartieren außer in der City West schon heute einen Anteil von um die 50 Prozent erreicht.
Das heißt, da wird sich gar nicht viel ändern.
Das klingt, als würde man fragen, warum man das überhaupt gemacht hat. Im Sinne von Transparenz und Verlässlichkeit macht die Regel schon Sinn. Aber wir fangen nicht bei null an. Wir sind ja auch bisher nicht die Menschenfresser gewesen. Auch vor dem Bündnis hatten wir in unserer Satzung einen sozialen Auftrag.
Warum haben sich die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit diesem Bündnis dann so schwergetan?
Haben Sie nicht.
Wie bitte? 20 Millionen sind kein Pappenstiel.
Wir sind in der Lage, das finanziell zu schultern. Bei alldem dürfen wir aber die Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen verlieren. Auch darum ging es in den Gesprächen mit den Ressorts Stadtentwicklung und Finanzen.
Der Senat will 30.000 neue Wohnungen. Auch wenn Sie auf eigenen Grundstücken bauen oder vom Liegenschaftsfonds Grundstücke umsonst übertragen bekommen, werden diese Wohnungen nicht unter 8 Euro den Quadratmeter Miete kosten, Heizung und Betriebskosten nicht mitgerechnet. Sozial ist das nicht. Das sind Wohnungen für den gehobenen Mittelstand.
Wenn Sie als Land wirklich in einer nennenswerten Zahl Wohnungen für die breite Masse der Wohnungssuchenden wollen, müssen Sie eine Miete von 6 Euro hinkriegen. Das geht nicht ohne eine neue Subventionierung.
Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben bereits neue Förderprogramme für den sozialen Wohnungsbau aufgelegt.
Berlin wird da auch nicht drum herumkommen. Man muss ja nicht dieses Irrsinnssystem aus den siebziger Jahren wieder reaktivieren. Wenn man aber Zuschüsse gibt und sich dafür bestimmte Mietkonditionen erkauft, ist das der richtige Weg. Und wenn der Senat Mieten in dieser Preisklasse haben will, dann wird das Geld kosten.
Wie viele Millionen müsste der Senat da in die Hand nehmen?
Das haben wir noch nicht ausgerechnet. Es wäre natürlich unsinnig, alle 30.000 neuen Wohnungen so zu fördern. Aber es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, bei einem Neubau einen Teil der Wohnungen mit Belegungsrechten für die Bezirke zu fordern – und zu fördern.
Den Imagewandel, den Sie mit der Gropiusstadt anstreben, hat das Brunnenviertel im Wedding teilweise schon hinter sich. Was hat zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen?
Auch im Brunnenviertel sind wir mit einem breiten Fragenkatalog gestartet: Was hat dazu geführt, dass das Viertel diese Probleme hat? War es die Kriminalität, die da übrigens eine größere Rolle spielte als in der Gropiusstadt? Die Bildung? Städtebauliche Barrieren? Unattraktive Gewerbebereiche? Das wollten wir herausfinden, um zielgerichtet gegensteuern zu können. Als Ergebnis haben wir dann dort unseren ersten Bildungsverbund gegründet.
Lässt sich der Erfolg messen?
Inzwischen gibt es wieder ein hohes Interesse, ins Brunnenviertel zu ziehen. Der Leerstand ist von 7 Prozent mit steigender Tendenz vor sieben Jahren auf 1 Prozent zurückgegangen. Das entspricht der Fluktuationsrate. Wir haben also Vollvermietung. Die Schwelle gegenüber der 70er-Jahre-Architektur hat deutlich abgenommen. Dank der Mittelschichten, die aufgrund der Erfolge des Bildungsverbunds ins Brunnenviertel ziehen, können wir nun auch wieder von einer Mischung sprechen. Wie wichtig das ist, sehen Sie in Frankreich, wenn es in der Banlieue wieder einmal brennt.
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