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WM im SchwergewichtsboxenDer „Gipsy King“ tritt ab

Tyson Fury schlägt Dillian Whyte in der sechsten Runde k.o. Nun will sich der umstrittene Schwergewichtler aus dem Boxsport zurückziehen.

Tyson Fury (li.) jubelt, Dillian Whyte ist gerade k.o. gegangen Foto: Andrew Couldridge/reuters

Angekündigt hatte Tyson Fury, Kampfname „Gipsy King“, seinen Rücktritt ja deutlich, und damit es auch jeder versteht, ließ er am Samstag im Londoner Wembleystadion seinen Lieblingssong spielen: „American Pie“ mit der Textzeile „the day the music died“, der Tag, an dem die Musik starb – oder das Boxen.

Aber glauben will es dennoch niemand so recht: Nun soll also Schluss sein, der 33-jährige Profiboxweltmeister aus England will seinen WBC-Titel kein weiteres Mal verteidigen, der K.-o.-Sieg am Samstag gegen den Briten Dillian Whyte soll das Ende einer noch gar nicht vollendeten Boxerkarriere bedeuten.

94.000 Menschen waren im Stadion, und wie bei so großen Ereignissen üblich, begann auch dieser Kampf zögerlich. Whyte, der üblicherweise als Linksausleger boxt, kam als Rechtsausleger in die erste Runde. Verwirrung stiften, das schien sich der 34-Jährige als Taktik zurechtgelegt zu haben. Dass sein Gegner zu den wenigen Boxern gehört, die mal die rechte, mal die linke Führhand gleichermaßen gut einsetzen, schien man sich im Whyte-Lager nicht überlegt zu haben.

Ab der zweiten Runde kämpfte Whyte wieder so, wie er es immer tat. Ein Mittel gegen Fury fand er dennoch nicht. Zweimal ging er gar mit dem Ellenbogen in Furys Gesicht, und immer wieder holte er zu Schwingern aus, die mal Furys Körper, meist aber die Luft links oder rechts von Fury trafen. Gegen Ende der 6. Runde machte Tyson Fury Schluss: ein fulminanter Uppercut, mit der Rechten geschlagen, ließ Dillian Whyte k. o. gehen.

Nun gibt es keine Fury-Kämpfe gegen Usyk und Joshua

Vier Jahre hatte Whyte auf die Titelchance gewartet, am Samstag hatte er von Beginn an keine Chance. Fury hingegen bleibt ungeschlagen: 33 Kämpfe, 32 Siege, ein Unentschieden. Dass Tyson Fury der aktuell beste Schwergewichtler der Profiszene ist, sehen viele Beobachter so. Aber wenn er nun wirklich seine Karriere beendet, werden ihm Kämpfe gegen Anthony Joshua (England) und Oleksandr Usyk (Ukraine) fehlen. Die bereiten sich derzeit auf einen Rückkampf vor – Nummer eins ging an Usyk, der damit Weltmeister von WBA, WBO und IBF ist –, und ein Fight des Siegers gegen WBC-Champ Tyson Fury wäre eine große Nummer: sportlich und finanziell.

Und kulturell. Dass sich Tyson Fury den Kampfnamen „Gipsy King“ gab, ist kein Zufall. Wenn auch im englischen Manchester geboren, gehört er zu einer Familie irischer Traveller, der Pavee. Auch wenn sie keine Verbindung zu Sinti und Roma haben, sehen sie sich doch als Gypsies. In der gesellschaftlichen Hierarchie Irlands sind die Pavees sehr weit unten angesiedelt, immerhin: Seit 2017 sind sie vom Staat als indigene ethnische Gruppe anerkannt.

Und sie haben eine lange Tradition im Berufsboxen. „Während in anderen Kulturen kleine Kinder einen Ball herumkicken, schlagen wir mit den Händen zu“, hat Fury einmal erklärt. Bei den Pavee wird gerade die Tradition des Bare-Knuckle-Boxens hochgehalten, des eigentlich seit 130 Jahren abgeschafften Kämpfens ohne Handschuhe. Furys Vater John war noch in den achtziger Jahren Bare-Knuckle-Boxer. Nach dem Kampf in London baute sich John Fury enthusiasmiert vor der TV-Kamera auf und brüllte etwas von einer „best performance ever“, sein Sohn habe gegen Dillian Whyte die beste Boxdarbietung aller Zeiten geliefert.

Tyson Fury ist eine, höflich gesagt: kontroverse Persönlichkeit, hat schon öffentlich über „zionistische, jüdische Leute, denen alle Banken, Zeitungen und Fernsehsender“ gehörten, geschimpft, hat ein gesetzliches Verbot von Homosexualität gefordert und möchte Frauen untersagen, Erwerbsarbeit nachzugehen. Für all diese Ausfälle hat er sich jeweils später entschuldigt, aber es ist wie mit seiner Rücktrittserklärung. „Ich gehe nach Hause zu Frau und Kindern. Ich verbringe sehr viel Zeit auf der Straße“, sagte Fury nach dem Kampf. Glauben will man das erst, wenn es bewiesen ist.

Ob die Entscheidung endgültig sei, wollte ein Journalist wissen. „I definitely think so“, lautete die interpretationswürdige Antwort.

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