WIRTSCHAFT FORDERT STUDIENGEBÜHREN UND KONKURRENZ DER UNIS: Billige Rezepte
Hans-Olaf Henkel, Chef der deutschen Unternehmer, gehen die Vorschläge nicht weit genug: Turnusgemäß trafen sich gestern die Hochschulrektoren zu ihrer Jahrestagung. Kanzler Schröder versprach 100 Millionen Mark, um die Informatik-Studiengänge zu päppeln, und die Universitätspräsidenten debattierten darüber, wie das Studium beschleunigt werden könnte. Schon im Vorfeld gab Henkel bekannt, dass er sich noch radikalere Lösungen vorstellt.
Seine Diagnose: Deutschland hätte nicht nur die ältesten Studenten und jüngsten Rentner, sondern auch miserabel ausgebildete Arbeitnehmer. Daher bräuchte man die Green Card nicht nur für Computerfachleute, sondern für Chemiker, Physiker und demnächst Ingenieure. Zudem würden bald die Biowissenschaftler fehlen, weil die Gentechnologie allzu lange verteufelt worden sei. Dieser angeblich totalen Misere will Henkel mit der totalen Reform begegnen: Er wünscht sich Wettbewerb zwischen den Hochschulen sowie Studiengebühren, denn dann wollten die Studenten auch was fürs Geld, würden auf ihre Ausbildungsqualität achten und kontrollierten ihre Professoren. Außerdem würden sie nicht mehr so oft das Fach wechseln.
Hier zeigt sich, wie recht der viel zu früh verstorbene Luhmann darin hatte, dass Teilsysteme der Gesellschaft die Tendenz haben, ihre Logik auch über alle andern Teilsysteme auszubreiten. Henkel ist nun das personifizierte Wirtschaftssystem und auch da leider nicht die volkswirtschaftliche, sondern nur die betriebswirtschaftliche Variante. Profitmaximierung, Konkurrenz, Ware-Geld-Beziehung: Alle diese Stichworte, die für die Betriebswirtschaft wichtig sind, denkt sich Henkel, dürften auch in allen anderen Bereichen des menschlichen Lebens ihre segensreiche Wirkung nicht verfehlen.
Nicht alles menschliche Tun und Denken jedoch lässt sich in diesen betriebswirtschaftlichen Kosmos zwingen. Zwar geht es auch in der Bildung immer um ökonomische Aspekte, aber eben nicht in erster Linie. Bildungsprozesse sind nicht so planbar, wie Henkel propagiert. Selbst der beste Lehrer (besser: gerade der beste Lehrer) weiß nicht, was sein Schüler am Ende gelernt haben wird. Denn Bildungsprozesse sind von vornherein offen und funktionieren nicht nach dem Muster einer simplen Maschine, wo Input und Output einander entsprechen. Nicht wenige Studenten wechseln gerade deshalb so oft das Studienfach, weil sie anfangs von Eltern und anderen Wohlmeinenden in eine bestimmte Richtung gedrängt wurden – weil sie also erleiden mussten, was Henkel als Patentrezept vorschlägt. Zudem bleibt es Henkels Geheimnis, wie Wettbewerbsdruck zwischen den Universitäten entstehen soll, wenn alle Hochschulen plötzlich Studiengebühren in gleicher Höhe erheben.
Dass Henkel der kritischen Öffentlichkeit einen Maulkorb verpassen will, wenn sie über riskante Technologien wie etwa die Gentechnik debattiert, ist nicht nur politisch bedenklich. Vor allem unterstellt Henkel, die Zukunft sei komplett vorherseh- und damit planbar. Sie ist jedoch genauso offen und unbekannt wie die Bildungsprozesse. Es ist also unmöglich, Studierende stromlinienförmig für einen lang vorher prognostizierten Bedarf auszubilden. Schon angesichts der Unwägbarkeiten sollte Studium niemals nur gezielte Berufsqualifizierung sein. Es scheint vielmehr vernünftig, sich mit einer selbst gewählten Ausbildung gleichzeitig auch zu bilden. Also nicht nur Fakten zu büffeln und danach der Arbeitslosigkeit hilflos gegenüberzustehen, sondern auch die Lernprozesse selbst zu lernen – um der offenen Zukunft gewappneter gegenüberzustehen.
In Großbritannien hat man sich schon längst auf diese Idee von Humboldt zurückbesonnen. Dort sammeln die Banken die naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Promovenden eines Jahrgangs ein und bilden sie intensiv aus. Ursprünglich Fachfremde betriebsintern zu schulen – das lohnt sich, wie der weltweite Wettbewerbserfolg der britischen Banken zeigt. Eine solche Initiative erfordert aber mehr als nur die ewiggleiche Nörgelei an Staat und Gesellschaft, wie sie Henkel pflegt. Es hieße für die deutsche Wirtschaft, selbst aktiv zu werden und die Ausbildungskonzepte der Firmen zu reformieren, statt ständig das eigene enge betriebswirtschaftliche Denken zum Maßstab der Politik zu machen. HENNING SCHLUSS
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für allgemeine Pädagogik der Humboldt-Universität in Berlin
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