WILHELMSHAVEN: Knietief im wertvollen Modder
Bei Ebbe zeigt sich die Nordsee von ihrer besten Seite. Der Schlick ist Teil des Weltnaturerbes.
Ebbe - die Kinder sind enttäuscht. Wieder mal ist das Wasser der Nordsee davongelaufen und Baden erst in ein paar Stunden möglich. Ein bisschen nach faulem Fisch stinkend und von schwarzbrauner Farbe hat der freigelegte Meeresgrund nicht gerade einen Schönheitspreis verdient. Doch der vermeintlich ordinäre Schlick ist wertvoller Lebensraum. So wertvoll, dass die Unesco ihn im Juni 2009 sogar als Weltnaturerbe ehrte.
Tausende von Tieren und Pflanzen gibt es nur hier, und auf rund 10.000 Quadratkilometern Fläche befinden sich die größten zusammenhängenden Schlick- und Sandwatte der Welt. Vierhundert Kilometer lang zieht sich die Naturschutzzone von Holland bis nach Dänemark hinauf. Mit wenigen Ausnahmen, wie etwa vor Hamburg, haben in dieser Region Tiere und Pflanzen Vorrang.
In der sogenannten Ruhezone ist das Betreten des Naturerbes erlaubt, und so gehen wir an der Küste vor Wilhelmshaven mit einem Spaten bewaffnet ins Watt, um zu schauen, was es mit diesem besonderen Meeresgrund auf sich hat. Wir beobachten Krabben, die in vereinzelten Pfützen auf die nächste Flut warten, sammeln Muscheln und treten auf Haufen, die aussehen wie von Hunden hinterlassen, aber vom Wattwurm stammen, der hier fleißig buddelt und den Aushub an die Oberfläche befördert. Ähnlich wie ein Maulwurf. Der Schlick ist teilweise so weich, dass wir knietief einsinken. Er färbt die Beine schwarz, und als wir aus dem Watt ans Festland kommen, braucht es eine kräftige Dusche, um den Modder wieder abzuwaschen.
Wattenmeer: der Küstenbereich, der unter einem starken Einfluss der Gezeiten steht. Das Wattenmeer (sprachlich: "watend begehbares Meer") ist zweimal täglich während eines Hochwassers überflutet und während eines Niedrigwassers trocken. Am 26. Juni 1999 wurde das deutsche und holländische Wattenmeer der Nordsee von der Unesco zum Weltnaturerbe ernannt.
Hotels am Wilhelmshavener Südstrand: zum Beispiel das Apart-Hotel Seenelke. In der Elfenbein-Suite kann man in der Badewanne liegen und aufs Wattenmeer schauen. Am Südstrand 120, 26382 Wilhelmshaven, Tel. (0 44 21) 75 57 67 10, Fax: (0 44 21) 7 55 76 79, www.hotel-seenelke.de
Günstige Hotel sind Seestern und Delphin. Die Drei-Sterne-Hotels liegen direkt an der Südstrandpromenade und haben Zimmer mit Wattblick. Südstrand 116-118, 26382 Wilhelmshaven, (0 44 21)
9 41 00, Fax: 94 10 29, www.hotelseestern.de, www.hoteldelphin.de
Schön ist der Stadtstrand von Wilhelmshaven nicht gerade. Deich, wohin das Auge blickt, Urlauber und Einheimische lagern auf einer Wiese oder flanieren auf der denkmalgeschützten Promenade. Früher gab es schöne Sandstrände, doch die sind der Industrialisierung zum Opfer gefallen. Der letzte wurde gerade dem neuen Containerhafen Jade-Weser-Port geopfert, der 2011 fertig sein soll. Mangels Fläche an Land konzentriert sich der Naturschutz hier fast ausschließlich auf den Meeresboden.
Wilhelmshaven ist nämlich Zentrum des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, der Teil des Unesco-Weltnaturerbes ist. Neben der Nationalparkverwaltung macht hier vor allem das Bildungszentrum Wattenmeerhaus von sich reden. Seit 1997 sorgt man hier dafür, dass Kinder und Erwachsene das Abenteuer Natur im Watt erleben. Exkursionen, Forschungen im Schülerlabor, Kutterfahrten mit Schaufängen und eine lebendige Ausstellung mit Tieren und Pflanzen aus dem Wattenmeer auf 2.000 Quadratmetern zeugen von dem nimmermüden Kampf der Mitarbeiter für die Natur vor dem Deich.
"Wir schulen unsere Mitarbeiter derzeit, alle Exkursionen auch auf Englisch durchzuführen", erzählt die Leiterin des Wattenmeerhauses, Juliana Köhler. Einer davon ist der Biologe Sebastian Peters. Er ist einer der wenigen Akademiker, der in seiner Heimatstadt einen Job gefunden hat. Er leitet Exkursionen mit dem Kutter, die im Sommer mehrmals wöchentlich von Wilhelmshaven aus starten. Mit dem Fischerboot "Gorch Fock" geht es vom 30 Kilometer entfernten Neuharlingersiel aus ins Wattenmeer.
Kapitän ist Wilhelm Jacobs, ein von Wind und Wetter gegerbter Krabbenfischer. Sebastian Peters hat dort, wo früher der Fang ins kochende Wasser geschmissen wurde, viele kleine gläserne Gefäße aufgestellt. Dort hinein wird der Schaufang gekippt: Einsiedlerkrebse, Nordseegarnelen (Krabben), Seesterne und Wollhandkrabben. Wie so viele seiner Zunft hat er auf den Naturtourismus umgesattelt und verdient jetzt mehr Geld mit dem Kutschieren von Touristen als mit dem Krabbenfang.
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