Votum des EU-Parlaments: Gegen den Willen der Männerköpfe
Die Umsetzung der Istanbul-Konvention schreitet voran – gut so. Allerdings ist in Deutschland ein wirksamer Schutz von Frauen oft noch blanke Theorie.
![Eine Frau macht Kickboxing Eine Frau macht Kickboxing](https://taz.de/picture/6262599/14/32807521-1.jpeg)
E s ist ein Erfolg für die Gleichstellung in Europa: Das Europäische Parlament hat dafür gestimmt, dass die Istanbul-Konvention EU-weit gelten soll. Das Übereinkommen von 2011 soll häusliche Gewalt verhindern und bekämpfen. Mit dieser neuen Entscheidung kann es durch den EU-Ministerrat ratifiziert werden, auch wenn einige Mitgliedsstaaten es ablehnen. Dazu gehören Lettland, Ungarn und Polen. Es ist ein wichtiges Signal, dass die Istanbul-Konvention auch gegen den Willen der führenden (Männer-)Köpfe ratifiziert werden kann.
Dass der Beitritt nun auch von Ampel-Politiker_innen gefeiert wird, sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Istanbul-Konvention auch in Deutschland, wo sie erst seit drei Monaten uneingeschränkt gilt, noch längst nicht vollständig umgesetzt ist.
Eine Expert_innen-Gruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Grevio) stellte 2022 in einem ersten Bericht fest, dass es Entwicklungen im deutschen Strafrecht gebe, die begrüßenswert seien – stellte allerdings zugleich Defizite fest: Es mangele nicht nur an Unterstützung von Frauen mit Fluchterfahrung, sondern es fehlten auch eine staatliche Koordinierungsstelle sowie angemessene finanzielle Ressourcen.
Dass es noch keine staatliche Koordinierungsstelle gibt, ist fatal. Im Februar wurde im Familienministerium ein Aufbaustab zur Einrichtung einer Koordinierungsstelle geschaffen, der eine Gesamtstrategie erarbeiten soll. Dieser Schritt war überfällig. Ein bundesweiter Aktionsplan und eine zentrale Koordinierungsstelle sind unabdingbar, aber auch Länder und Kommunen müssen mitziehen: Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen bemängelte die geplanten Maßnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt des neuen Berliner Senats als unzureichend.
Es braucht mehr als Geld
Aber auch Unternehmen und die Gesellschaft an sich sollten patriarchale Gewalt endlich als das begreifen, was es ist: eine Menschenrechtsverletzung, die uns alle angeht. Denn natürlich braucht es mehr Geld für Beratungsstellen, mehr Frauenhausplätze und Maßnahmen gegen digitale Gewalt. Was es aber vor allem braucht, ist: Prävention, Prävention, Prävention. Noch besser, als zu wissen, wohin ich mich nach einer Vergewaltigung wenden kann, ist, gar nicht erst vergewaltigt zu werden.
Hier ein paar Ideen, alle nicht neu: Anti-Gewalt-Trainings für Männer sollten ausgebaut werden. Es sollte sichergestellt werden, dass Geflüchtete, die vor patriarchaler Gewalt fliehen, nicht abgeschoben werden. Das Ehegattensplitting sollte abgeschafft werden, das zur Folge hat, dass Hetero-Mütter meist weniger arbeiten und sich in finanzielle Abhängigkeit begeben – ein Nährboden für häusliche Gewalt.
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