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Vorwürfe gegen Polizei und JustizAktivistInnen im Visier

Die Polizei konzentriere sich auf Menschen, die sich besonders hartnäckig engagierten und zeige sie an, behauptet eine Initiative aus Göttingen. Jetzt will sich die Politik damit beschäftigen.

Festnahme bei einer Demo in Göttingen im Winter 2009: Linke Gruppen werfen der Polizei systematisches Vorgehen gegen AktivistInnen vor. Bild: dpa

Weil die Polizei immer wieder gegen soziale Bewegungen vorgeht, soll sie sich jetzt mit diesen an den "Runden Tisch demokratisches und friedliches Göttingen" setzen. Das hat der Rat der Stadt vergangenen Freitag beschlossen, auch Vertreter aus der Politik und Verwaltung wollen daran teilnehmen. Mit den Stimmen der Linkspartei, der SPD und der Grünen entschied das Parlament, sich mit der Initiative "Für gesellschaftliches Engagement. Gegen Kriminalisierung und politische Justiz" und deren Vorwürfe gegen die Polizei und die örtlichen Gerichte zu befassen.

Die Initiative ist ein Zusammenschluss von rund 40 teils linken Gruppen der Stadt, von der Antifa über den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) bis zum Kreisverband der Grünen. Sie hatten eine Broschüre herausgegeben, in der anhand aktueller Fälle das Vorgehen von Polizei und Justiz gegenüber politisch aktiven Menschen analysiert wird. "Zur Abschreckung werden gegen einzelne AktivistInnen Strafverfahren mit (teilweise) konstruierten Tatbeständen eröffnet", heißt es darin. Die Anklagen beruhten oft nur auf den Aussagen der Polizei: "Es gibt keine objektiven Beweise, die diese Aussagen stützen." Dabei handele sich nicht um bedauerliche Einzelfälle, findet das Bündnis, sondern um ein gezieltes Vorgehen gegen außerparlamentarische Bewegungen.

Die Initiative unterstellt den Behörden ein System: Die Polizei konzentriere sich auf Menschen, die sich besonders hartnäckig engagierten und zeige sie an. Dafür würden sogar Vorgänge erfunden, RichterInnen spielten dieses Spiel oft mit.

"Mit Rechtsstaatlichkeit hat das nur wenig zu tun", sagte das grüne Ratsmitglied Bahman Ayegh zu den geschilderten Vorfällen. Er und viele seiner Parteifreunde teilen die Einschätzung der Initiative. "Polizei und Justiz geben für mein Gefühl viel zu oft Anlass für den Verdacht, dass ihre Entscheidungen und ihr Handeln politisch motiviert sind", sagt Ayegh. "Je intensiver man sich zu linksalternativen Themen engagiert, desto mehr muss man fürchten, dass einem die Polizei im Nacken sitzt - und zwar unabhängig davon, ob man die Gesetze einhält oder nicht."

Keine Probleme mit diesem Vorgehen hat offenbar die Göttinger CDU. "Die Repressionsmaßnahmen, die hier beschrieben werden, sind unserer Ansicht nach nicht negativ, sondern Aufgabe des Staates", sagte der Vorsitzende des CDU-Stadtverbandes, Holger Welskop, in der Ratssitzung. Die AutorInnen der Broschüre hätten eine "irrationale Wahrnehmung der Realität". Trotzdem will die Fraktion am runden Tisch teilnehmen.

Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD) sagte, er teile nicht die Meinung, die in der Broschüre geäußert werde. Der ehemalige Richter und Staatsanwalt will den runden Tisch nutzen, um eventuelle Vorurteile bei den Linken abzubauen. Meyer verwies unter anderem darauf, dass im April eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde in einem linken Café wegen ihrer Arbeitsstelle kein Frühstück serviert bekam.

Fernbleiben will der Runde nur die FDP, denn mit "gewaltbereiten und offen verfassungsfeindlichen Gruppen" wolle man sich nicht an einen Tisch setzen, erklärte Ratsherr Ben Schröter.

Die Göttinger Polizei gibt indes vor, von nichts zu wissen. Der Ratsbeschluss sei im Hause nicht bekannt, sagte ein Polizeisprecher zur taz nord. Eine Einladung sei noch nicht angekommen. Auch zu den Vorwürfen der Initiative wollten sich die Beamten nicht äußern.

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11 Kommentare

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  • M
    Moritz

    Interessant ist ja, dass Vorwürfe dererlei Art von konservativer Seite gerne als Spinnerei von nicht ernst zu nehmenden Chaot_Innen abgetan werden. Aber mit der Auseinandersetzung mit solchen Vorwürfen will man in diesen Kreisen nichts wissen. Es kann doch nicht sein, dass die Polizei nichts vom Ratsbeschluss wissen will, obwohl sie offensichtlich einen Vertreter (in Uniform) als Beobachter in die Ratssitzung geschickt hat, in der der Beschluss gefasst wurde. Zumindest saß ein solcher im Zuschauerraum. Da scheinen die Kommunikationswege "in ihrem Hause" aber recht lang zu sein.

  • RH
    Rainer Hohn

    Oh mein Gott! Wie konnte das nur all die Jahre und Jahrzehnte geheimgehalten werden? Die Polizei geht also, Hand in Hand mit Staatsanwaltschaft und Gerichten, mittels Rechtbeugung und -brechung gegen unliebsame Personen vor?

     

    Was kommen als nächstes für Enthüllungen? Das Wasser nass ist? Das Politiker manchmal die Unwahrheit sagen?

  • V
    vic

    Wer es erlebt hat, weiß dass dieser Vorwurf stimmt.

    Es macht mich trotzdem immer wieder schmunzeln, wenn die extremistischen Verfassungsfeinde der FDP, anderen Gruppen unterstellen sie wären extremistische Verfassungsfeinde.

  • M
    Minstrel

    Ach ja, Göttingen.

    Wo die "Aktivisten" schon mal einen Anschlag auf die Teeküche eines Amtes als "defekte Kaffeemaschine!" abschreiben. Wo Leute auf der Straße von "Aktivisten" zusammengedroschen werden, wenn ihre Kleidung politisch inkorrekt ist. Und wo Behördenmitarbeiter von "Aktivisten" nicht bedient werden - was ja, immerhin, keine Diskriminierung darstellt, weil es ja nicht an Hautfarbe, Religion oder Herkunft liegt. Sondern an der Arbeit.

    Das klingt alles nach Gruselgeschichten aus den "national befreiten Zonen" im tiefsten Brandenburg, nur mit falschen Vorzeichen?

    Nein - das ist halt Göttingen.

  • IS
    is so

    kann ich nur bestätigen, wurde angezeigt, weil ich auf ner demo DJ gemacht hab. wegen öffentlichen aufruf zu straftaten. wurde fallengelassen.

    wer wagt zu sagen, repressionen seien aufgabe des staates hat was nicht verstanden.

  • BB
    Blah Blahson

    "Fernbleiben will der Runde nur die FDP, denn mit "gewaltbereiten und offen verfassungsfeindlichen Gruppen" wolle man sich nicht an einen Tisch setzen, erklärte Ratsherr Ben Schröter."

     

    Wenigstens eine Fraktion, die noch Ideale hat! Mit der Polizei würde ich auch nicht an einem Tisch sitzen wollen.

  • BA
    beobachtender Anwohner

    Dies ist eine schlaue und überfällige Initiative. Jeder der ab und zu oder auch öfter sich engagiert, oder auch nur in der Nähe steht kann ein Lied davon singen.

     

    Schläge ohne Grund mit Verweis auf ein ominöses Bedrohungspotential sowie oft auftretende Unverhältnismäßigkeiten bei Einsätzen, dürfen nicht mehr akzeptiert werden. Es ist die einzige Möglichkeit, eine Akzeptanz der Polizei wieder herzustellen und einer kompletten Verhärtung der Fronten entgegenzuwirken.

     

    Sehr viele, gerade Jugendliche haben inzwischen einen unreflektierten Hass aufgrund willkürlicher Vorgehen und den nachfolgenden Lügen in den Polizeimitteilungen aufgebaut. Man spricht bei SEK und Co. von CopKultur und einer Dynamik, wie in einem Berufsheer. Es werden Verletzungsstatistiken, Sachverhalte, Einsatzgründe und auch Straftaten konstruiert.

     

    Beispiel gefällig:

    In Dresden hatten wir letzte Woche die Libertären Tage. Dabei gab es eine Hausbesetzung, welche auf Wohnungsnot, Sozialabbau und Freiraumproblematik in der Cdu dominierten Hauptstadt Sachsens aufmerksam machen sollte. Die Besetzer bekannten sich ständig zur Gewaltlosigkeit, ein besoffener Flaschenwerfer (2 Würfe) wurde von ihnen selbst energisch zurückgepfiffen. Doch die Polizisten wendeten härteste Gewalt gegen die ca. 100-200 friedlichen Sympatisanten eines Strassenfestes davor und gegen die Besetzer an. Einer Sambagruppe wurden mehrmals die Köpfe gegen ihre Instrumente geschlagen. Es kam zu Arm und Handgelenkbrüchen insgesammt 14 schwere Verletzungen bei den Sympatisanten (und natürlich Haufen Beulen Schürfwunden usw.). Bei der Polizei gab es keinen der verletzt wurde. Trotzdem stand in der Mitteilung etwas von 6 verletzten Polizisten. Bei konservativeren Medien waren es dann noch mehr verletzte Polizisten (8 oder mehr). Jeden Beteiligten ist schleierhaft wie diese verletzt worden sein sollten.

     

    Als Einsatzgrund wurde die angebliche Einsturzgefahr des guterhaltenen städtischen Gebäudes vorgeschoben. Am nächsten Tag schlugen dann inzwischen 150 Polizisten auf 30 auf der Strasse stehenden Jugendliche ein. Diese bekamen davor weder einen Platzverweis (erst nach der Prügel) noch haben sie sich strafbar gemacht. Die Polizei schlug zu, weil sie dachte es wäre eine Besetzung. Fakt ist, in dem "gedachten" Gebäude befand sich niemand, die Versiegelungen waren alle unangetastet es ist jediglich gelungen Transparente an die Hauswand zu hängen. Dies legitimierte dann eine unverhältnismäßige Prügelattacke von 150 Polizisten auf 30 friedliche teilweise feiernd alkoholisierte Jugendliche. Die Polizeiangriffe wurden nicht bei der Mitteilung thematisiert.

     

    http://www.polizei.sachsen.de/pd_dresden/5529.htm

     

    Hier gibts ein Konzept der Besetzer:

    http://media.de.indymedia.org/media/2010/05//281205.pdf

     

    Hier ein Video, welches zeigt wie Polizei als Abschreckung einen zusammenschlägt und dann abtransportiert. Die richtig harten Aktionen konnten nicht gefilmt werden.

    http://www.youtube.com/watch?v=IEN2iqbHnAo&feature=youtu.be

  • LK
    L. Kazenbaur

    Bis weit über die Absurdität hinaus konstruierte politische Anklagen und politische Schauprozesse gegen Engagierte gibt es natürlich in Deutschland (wen wundert's ?), aber jetzt in krassester Form auch in Österreich. Beim 278a-Verfahren (entspr. 129a in D) gegen Tierrechtler hagelt es nur so Kuriositäten und Widersprüche von seiten der Sonderkommission, der Einzelrichterin und des Staatsanwalts.

    Die kritische Öffentlichkeit wird durch Polizeischüler als Statisten ersetzt, die Auslandsmedien werden des Hauses verwiesen, Beschuldigte werden ständig ihrer verfassungsgemäßen Rechte beraubt, Zeugen werden von der Richterin mit suggestiven Aussagen beeinflußt - es ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Mit jedem Prozesstag fällt die ohnehin substanzlose Anklage mehr in sich zusammen. Der Zusammenhang zwischen den Beschuldigten und den zum offiziösen Anlaß der Strafverfolgung genommenen Straftaten ist so beliebig weit hergeholt wie nur irgend möglich. Polizeizeugen geben in der Vernehmung zu, dass man durch Observationen und Funkzellenauswertung immer wußte, dass kein Beschuldigter jemals zur Tatzeit in Tatortnähe war.

    Zeugen von großen Firmen bestätigen in der Vernehmung mehrfachen Versicherungsbetrug, ohne daß der Staatsanwalt nur mit der Wimper zuckt.

    Es ist an Groteske und Befremden nicht zu schlagen.

    Mehr Info unter http://tierschutzprozess.at

  • T
    thomas

    Wenn von einer Broschüre die Rede ist, kann man die doch auch mal verlinken. Für alle die es interessiert, hier findet man sie:

     

    http://www.politische-justiz.org/download/IfgE_Brosch%C3%BCre.pdf

  • L
    liberaleinanführungszeichen

    Spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen, FDP versucht die CDU mal wieder rechts zu überholen.

  • N
    Nordischer

    "Keine Probleme mit diesem Vorgehen hat offenbar die Göttinger CDU. "Die Repressionsmaßnahmen, die hier beschrieben werden, sind unserer Ansicht nach nicht negativ, sondern Aufgabe des Staates", sagte der Vorsitzende des CDU-Stadtverbandes, Holger Welskop, in der Ratssitzung. Die AutorInnen der Broschüre hätten eine "irrationale Wahrnehmung der Realität""

     

    Wer hier wohl eine "irrationale Wahrnehmung der Realität" hat!

     

    Wenn die Exekutive im Einklang mit der Judikative Repressionsmaßnahmen gegen politisch anders Denkende

    vollzieht, soll das ein demokratischer Staat sein?

     

    Wo sind wir denn?

     

    DDR?

     

    Drittes Reich?