Vorwürfe gegen Islamische Gemeinschaft: Milli-Görüs-Verfahren eingestellt
Nach langen Ermittlungen lässt die Staatsanwaltschaft die schweren Vorwürfe gegen muslimische Funktionäre fallen. Von der Islamkonferenz sollen sie trotzdem ausgeschlossen bleiben.
Ermittlungsverfahren und die dazugehörenden Razzien erfolgten mit großem Medienecho, die Einstellung hingegen geschah im Stillen: Die Münchener Staatsanwaltschaft hat die schweren Vorwürfe gegen Spitzenfunktionäre der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs und anderer muslimischer Organisationen fallen gelassen. Das bestätigte am Dienstag die Münchener Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger.
Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Funktionären, darunter Milli-Görüs-Generalsekretär Oguz Ücüncü und Ibrahim El-Zayat von der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), unter anderem Bildung einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Betrug vorgeworfen. Im März vergangenen Jahres wurden deshalb zahlreiche Hausdurchsuchungen durchgeführt, Ücüncüs und El-Zayats Privat- und Büroräume sowie das Islamische Zentrum München, das Sitz der IGD ist, waren betroffen.
Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte daraufhin Ücüncü dazu verpflichtet, seine Teilnahme an einer Arbeitsgruppe der deutschen Islamkonferenz ruhen zu lassen. Schäubles Nachfolger de Maizière (CDU) ging noch einen Schritt weiter: Er schloss gleich den ganzen von Milli Görüs dominierten Dachverband, den Islamrat, vorerst von der Islamkonferenz aus.
Milli Görüs, die vom Verfassungsschutz als islamistisch und legalistisch beschrieben wird, gehören bundesweit rund 300 Moscheegemeinden an.
Milli Görüs kritisierte die Ermittlungen von Beginn an als politisch motiviert. Er habe von Anfang an keinen Zweifel daran gehabt, dass das Verfahren eingestellt werde, sagte Generalsekretär Ücüncu am Dienstag der taz. Der politische Zweck sei gewesen, angesehene Persönlichkeiten der muslimischen Gemeinschaft zu diskreditieren. "Doch die Strategie, Milli Görüs aus dem gesellschaftlichen Diskurs auszuschließen und einzelne Figuren gezielt zu diffamieren, ist gescheitert", sagte Ücüncü.
Die Islamismusexpertin Claudia Dantschke forderte die Staatsanwaltschaft auf, nähere Angaben zu den Ermittlungen zu machen. "Das ist wichtig, sonst werden Verschwörungstheorien Tür und Tor geöffnet, dass es sich um politisch motivierte Ermittlungen handelt", sagte Dantschke.
Trotz der Einstellung des Verfahrens soll nach dem Willen von Bundesinnenminister de Maizière der Islamrat nicht wieder an der Islamkonferenz der Bundesregierung teilnehmen. "Das Ministerium sieht keinen Anlass dazu, seine Haltung zu ändern", sagte eine Sprecherin. Sie verwies dabei auf die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (IHH), die de Maizière im Juli wegen finanzieller Unterstützung der Hamas verboten hat. Im Vorstand und im Kuratorium der IHH saßen zahlreiche Mitglieder der Milli-Görüs-Führung.
Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt unterdessen weiter gegen Milli-Görüs-Funktionäre wegen Spendenbetrugs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit