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Vorurteile gegen WM-Land SüdafrikaDas schaffen die doch nie!

Die deutsche Öffentlichkeit sieht die WM in Südafrika immer noch in Gefahr. Die Hybris des alten Gastgebers dem neuen gegenüber entspringt höchst selektiver Wahrnehmung.

Polizisten laufen Streife auf dem Gelände des WM-Stadions in Kapstadt. Bild: dpa

BERLIN taz | Hier die Geschichte: Das Land hatte den Zuschlag bekommen, weil der werdende Präsident des Fußballweltverbands Fifa die Stimmen aus dem Kontinent für seine Wahl gebraucht hatte. Vor allem aber gab es skeptische Funktionäre. Ein hochrangiger deutscher Fußballanzugträger etwa gab zu bedenken: Eine WM in diesem Land sei "fast so unsinnig wie eine Weltausstellung auf Grönland".

Auch im Gastgeberland selbst gab es Sorgen: Bahnnetz, Straßen, Stadien, Luxushotels erforderten große Investitionen. Kurzfristig wurde die Zahl der teilnehmenden Mannschaften von 16 auf 24 erhöht, was mehr Hotels, mehr Straßen, mehr Stadien bedeutet hätte. Was geschah also? Der Staatspräsident gab bekannt, er werde die WM am Fernseher verfolgen - und gab das Turnier ab.

Das ist nicht die fiktive Geschichte der WM 2010 in Südafrika. Das ist die wahre Geschichte der WM in Kolumbien 1986. Kolumbien, zunächst zum Austragungsort bestimmt, wurde durch Mexiko ersetzt. Und doch: Man hätte in den vergangenen sechs Jahren, seit die WM an Südafrika vergeben wurde, auf die Idee kommen können, dass auch ihre Geschichte so endet.

Es wurde gezweifelt und mit dem Zeigefinger gewedelt, gute Zeichen wurden übersehen, schlechte besserwisserisch weiter verbreitet. Das ist nicht neu; vor den Olympischen Spielen 2004 in Athen etwa wurde den Griechen schon vorab der Titel im Maurerkellenverkehrtherumhalten verliehen (hinterher dann immerhin noch der Hitzerekord). Bemerkenswert ist es trotzdem. Südafrika jedenfalls wurde vorab zum Weltmeister im Nichts-auf-die-Reihe-Bekommen, Westlichen-Standards-nicht-Genügen und Ja-wohl-immer-noch-in-Afrika-Liegen gekürt.

Geistige Landkarte

Zwei Monate vor dem Anpfiff ist die Frage: Wurde so eine nur vermeintlich gute Nachricht - die der ersten WM auf afrikanischem Boden - auf das rechte Maß gestutzt, und Afrikaromantiker wollen einfach die Wirklichkeit nicht sehen? Oder wurde jede neue Information reflexgesteuert in eine geistige Landkarte des afrikanischen Kontinents eingefügt, die einen Erdteil der schlechten Nachrichten zeigt, so dass am Ende die negativen Seiten stark dominierten? Letzteres drängt sich jedenfalls auf.

Gehen wir die Kritik durch: 2004 wird Südafrika zum Ausrichter bestimmt. Nach der Vorfreude beginnt eine Jonglage mit Vorurteilen. Kernthemen bis 2010: 1. Die schaffen das nicht. 2. Korruption am Bau. 3. Leib und Leben in Gefahr! 4. Leere Stadien.

2005 findet in Deutschland ein Vorbereitungsturnier für die WM 2006 statt, der Confederations Cup. In Frankfurt regnet es wasserfallartig durchs neue, geschlossene Stadiondach. Im selben Jahr melden die ersten Skeptiker aus Deutschland Bedenken bezüglich Südafrika an: "Wir müssen wohl davon ausgehen, dass 2010 eine ,WM light' werden wird", wird ein Beobachter zitiert. Ein anderer sagt: "Die sind noch nicht wirklich in die Gänge gekommen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon wesentlich weiter." Im Nachhinein bleibt die Frage: Womit genau waren "wir" weiter? Damit, ein großes Loch ins Stadiondach zu bohren?

2006 entblödet sich Fifa-Präsident Josef Blatter nicht, nach anhaltender Kritik am Stand der Vorbereitungen vorzuschlagen, an die "Psychologie des Afrikaners" zu denken und ihn nicht zu bemuttern. Der Schweizer selbst hatte dem Südafrikaner zuvor geraten: "Nehmt euch ein Beispiel an Deutschland!" Der Südafrikaner weist die Belehrungen zutreffend als arrogant zurück und baut lieber weiter.

2007 ziehen Experten, darunter der Fifa-Chef, Südafrika als WM-Standort in Zweifel: "Das Einfachste wäre" - für den Fall, dass Südafrika die WM nicht organisiert bekommt - "nach Deutschland zurückzukehren", sagt Blatter. Aber, lässt er folgen: "Wir haben Vertrauen in Südafrika." Spricht, wer Vertrauen hat, öffentlich über Ausweichorte?

2008 laufen alle Diskussionen weiter. Der Confederations Cup 2009 in Südafrika wird im Vorfeld zur WM-Generalprobe aufgepumpt. Er läuft dann gut. Blatter hat das hinterher schon vorher gewusst und lässt sich in Südafrikas Fernsehen als der Mann feiern, der dem Land die WM brachte. (Einziger Minuspunkt: Die vielen Zuschauer in den leeren Stadien blasen grässlich laut in eine Art Mini-Alphorn! Europäische Journalisten fühlen sich gestört; ein niederländischer Medienvertreter regt ein Verbot an. Von Bild bis Financial Times Deutschland kursiert der Begriff "Nerv-Tröte").

Nackte Statistiken

In Deutschland konzentriert man sich nun auf ein anderes Problem: Kriminalität. Südafrikanische Imageverantwortliche betonen reihenweise, sie würden jemanden kennen, der jemanden kennt, der während der WM 2006 auch auf der Berliner Fanmeile beklaut wurde. Aber in der Tat ist das lächerlich angesichts der nackten Statistiken. Was bei der Auswertung der Zahlen jedoch untergeht, ist die Frage: Ist ihre Interpretation wirklich so objektiv?

Als etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2009 titelte: "Mehr Gewaltverbrechen in WM-Städten", war das nicht falsch. Die Zahl der Raubüberfälle auf Privathäuser und Geschäfte etwa in Johannesburg war gestiegen. Allerdings: Die der Morde war gesunken. "Weniger Morde in WM-Städten" wäre also ebenfalls richtig gewesen.

Was ebenfalls untergeht, ist die Frage, was Zahlen über ihr bloßes Zahlsein hinaus wert sind. Aus denselben Instituten, die solche Daten über die Kriminalität vorlegen, etwa aus dem Institute for Security Studies in Pretoria, kommt schließlich auch diese Information, die für Urlauber wertvoller wäre als jede Großstatistik: "Für Touristen ist das Risiko mit Abstand am größten, Opfer eines Taschendiebstahls zu werden."

Neben dem Thema Sicherheit sind außerdem wieder die leeren Stadien dran: Wegen hoher Preise wolle kaum ein deutscher Tourist zur WM reisen, melden 2010 so gut wie alle deutschen Zeitungen. Herrlich schlecht, diese Nachricht! Das Problem: Sie stimmt nicht. Sie beruht auf einer falsch interpretierten Meldung des Deutschen Fußball-Bunds.

Des Rätsels erstaunlich simple Lösung: Viele Fans kaufen ihre Tickets nicht beim DFB, sondern zum Beispiel über die Webseite der Fifa oder bei Reise-Komplettpaket-Anbietern.

Es soll nicht untergehen, dass es Grautöne und Relativierungen in der Berichterstattung über Südafrika gab, gerade in den Artikeln der Korrespondenten vor Ort. Jede sachliche Kritik, die angesichts der Fifa-Politik und der Imagekampagne südafrikanischer Politiker überaus angebracht war, ging allerdings in einem vorprogrammierten Misstrauen unter, das zum prägenden Motiv wurde.

Dass vorher zurechtgelegte Szenarien nicht hilfreich sein müssen, bewies dabei zum Beispiel die WM 1998 in Frankreich. Dort kam es nicht in der vermeintlich brandgefährlichen Pariser Banlieue zur Gewaltausbrüchen, sondern an den Orten, an denen deutsche Hooligans auftraten: Sie schlugen einen Polizisten ins Koma. Natürlich kann etwas Ähnliches auch in Südafrika passieren, es kann überall passieren. Aber ist die Wahrscheinlichkeit wirklich so viel größer als bei jeder anderen Großveranstaltung, wo auch immer auf der Welt? Beruht die Angst vor Südafrika nicht eher auf einem Ressentiment?

Blinde Stellen

Dass die Wahrnehmung blinde Stellen hat, bewies der Präsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß, mit einem im Januar verbreiteten Zitat: "Ich fahre da nicht hin, ich war nie ein großer Freund von einer WM in Südafrika oder überhaupt in Afrika, solange Sicherheitsaspekte nicht zu 100 Prozent geklärt sind." Um im Zusammenhang mit Münchens Bewerbung um Olympische Winterspiele hinzuzufügen: "Ich glaube - das hat man bei den Sommerspielen von 1972 gesehen -, der Stadt stünden Olympische Winterspiele extrem gut zu Gesicht."

Noch einmal die Argumentationslinie: In Südafrika sind Sicherheitsaspekte nicht zu 100 Prozent geklärt. Beispielhaft ist dagegen München 1972, wo Terroristen Geiseln nahmen, die bei einem Befreiungsversuch starben. Muss man mehr wissen über selektive Wahrnehmung?

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13 Kommentare

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  • 2
    2010sdafrika

    Das ist das Problem - die Kriminalität im Lande wurde und wird durch die staatlichen Stellen bisweilen ausgeblendet bzw. vernachlässigt. Stattdessen redet man von "Chancen", "Möglichkeiten" und "Wachstum". Wäre die PR-Kampagne von Anfang an unter Einschluss der Kriminalitätsfrage erfolgt, stünden wir heute nicht vor einem schleppenden Ticketverkauf. Für Hintergrundinfos siehe das Südafrika-Portal:

    http://2010sdafrika.wordpress.com/

  • K
    koudas

    Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich ist der Artikel provokativ aber er zeigt eines auf , was man dann auch an den Kommentaren sehen kann, wir hier in Deutschland können eins sehr gut: Immer mit dem Finger auf andere zeigen und in unserer Selbstherrlichkeit und Arroganz so zu tun als ob wir immer die besten sind !!!!!!!! Heute glauben immer noch viele, wenn nicht die meisten, das die WM2006 friedlich war und es keine Ausschreitungen gab !!! Total NAIV !!!! Die meisten in diesem land glauben was Ihnen der Springer-Verlag vorgibt !!! ARMES Deutschland

  • M
    Mario

    Also bei aller Liebe - aber alleine die Vergleiche passen vorne und hinten nicht. Natürlich transportiert die taz - glücklicherweise - auch eine bestimmte Stossrichtung die oft gegen Strom der Medienwelt geht. Aber diese auch wider der Realität publizistisch durchdrücken zu wollen ist dann leider kein Journalismus mehr... Das war echt nix Herr Raab.

  • K
    karlBis

    Also echt die Vergleiche hinken von vorne bis hinten.

    Und dann der Bezug auf 1972 ist wirklich daneben...

     

    In Bezug auf Sicherheit ist jede Kritik und Bedenken angebracht, Zumal in SA die öffenliche Sicherheit vielerorts wirklich bedenklich ist. 2006 wurden ja auch Sicherheitsbedenken in den Stadien geäußert und untersucht bzw. abgestellt. Genau das gleiche gilt für die anderen Punkte. Argumente wie (sinngemäß) "in Athen wurde... und dann war doch alles gut".

     

     

    Perönlich denke ich sollte man mal allgemein die Praxis der Vergabe solcher Großveranstaltungen überdenken. Für ein einmaliges ereigniss riesige Infrastrukturen und Sportstätten zu bauen die danach kaum oder ungenutzt bleiben halte ich für falsch und das meine ich nicht nur im Ausland siehe z.b. Leipziger Zentralstadion...

  • K
    Karnevalist

    Ja ja, die selektive Wahrnehmung. In dem Land würde ich jedenfalls keinen Urlaub machen.

    Im Übrigen: Ich finde es schon sehr merkwürdig das dort für viel Geld Sportstätten errichtet werden und andererseits Menschen in sog. Townships "leben".

    So gesehen müßten sämtliche Internatiolen Wettkämpfe einschließlich Olympiaden mal überdacht werden, wo doch jetzt alles "eine Welt" wird bzw. ist!

    Da ließe sich viel Energie und CO2 sparen, Gelle?

  • C
    christoph

    selektiv wahrnehmen könnt ihr aber auch ganz gut: ich habe als Hauptkritikpunkt vor allem die fehlende Sicherheit im Hinterkopf, die nackten Statistiken sagen eine Menge aus. Dass es schon mal schlimmer war, ist nun aber nicht unbedingt das dicke Plus.

  • S
    Suuna

    Danke für den Kommentar. Leider sind die Gewalt-Artikel für die WM wahrscheinlich schon geschrieben und werden aus der Schublade geholt, sobald auch nur ein deutscher Tourist mit einem Taschenmesser bedroht wird.

     

    Wirklich schade. Und die nächste WM wurde an ein Land vergeben, dessen Mordraten noch über denen von Südafrika liegen. Aber im Zusammenhang mit Brasilien hat man noch von keinen Sicherheitsbedenken gehört. Liegt ja auch nicht in Afrika

  • B
    Buster

    Guter Artikel, Danke!

    Afrika ist für die meisten Menschen immernoch kein Kontinent, sondern ein riesengroßes Land. Dadurch werden jedem afrikanischen Staat auch alle Probleme zugeschrieben die es auf dem Kontinent gibt. Sind ja auch alle schwarz dort unten...

  • T
    Tommy

    großartiger Artikel. Ich glaube die WM wird bestimmt nicht schlechter, wenn Hoeneß daheim beim public viewing bleibt. Es wird genug Stänkerer vor Ort geben, die sich über jedes zu warme Import-weizenbier aufregen werden, aber davon sollte einem die WM nicht vermiest werden. Bei der Euphorie und bei der Fülle von Chancen, die sich im Zuge der WM der dortigen Bevölkerung bieten, bin ich sicher, dass jeder dort mitwirken wird daran, dass es ein gutes Turnier wird. Die Security wird höchstwahrscheinlich sogar übertrieben sein, schon allein weil der Gastgeber es den Zweiflern zeigen will.

  • B
    BigKelle

    alles gut und schön was ihr da schreibt! ich kann mir eine reise nach südafrika nicht leisten. ach so die wm eintrittskarte auch nicht!!!

     

    und abgesehen davon, ich würde auch nicht hinfahren weil:

    ca.50 Morde pro Tag, das sind in einem Jahr etwa 18.000. und etwa 50.000 Vergewaltigungen!

    und das ganze verdoppeln!

     

    in deutschland sind es ca. 1200 Morde und noch einmal soviel morde, die nicht als mord zu erkennenden sind oder zu erkennen waren!

     

    viel spass euch reichen säcke in südafrika!

  • BE
    Bitte ergebenst um Aufklärung

    >>[...] Blatter entblödet sich nicht, [...] an die "Psychologie des Afrikaners" zu denken und ihn nicht zu bemuttern.

  • S
    steffen

    Ich kann mich noch gut daran erinnern wie die TAZ und andere Blätter in Deutschland vor der WM 2006 alle Ostdeutschen zu Rechtradikalen erklärt hat !

    Es wurde sogar davor gewarnt sich dort als Ausländer aufzuhalten.

    Eine Grüne entblödete sich noch nicht einmal die "Deutschen" aufzuforden bei ihr deutsche Flaggen abzugeben.

    Wir waren alle irgendwie ausländefeindlich und außer stande mit anderen als uns Deutschen selbst zu feiern !

    Und ? Es waren tolle Wochen selbst für Fußballmuffel wie mich !!! So habe ich mit amerikanischen Touristen auf dem Weg nach Hamburg im Zug ein Spiel gefeiert.

    Natürlich ist Südafrika ein Sicherheitsrisiko ! 18.000 Morde im Jahr sind nunmal nicht wegzurechenen liebe TAZ. Das wird auch zur WM nicht aufhören...

  • S
    Schulz

    Ich habe eine Abneigung gegen Suedafrika,

    99 Prozent und wesentlich mehr

    fahren ueberhaupt nicht zur WM.