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Vorurteile gegen Roma„Diskriminieren, wo es geht“

Das Bild von den armen, arbeitssuchenden Rumänen, die massenhaft in Berlin einreisen, ist antiziganistisch, sagt Marius Krauss vom Verein Amaro Foro.

Typisch Roma? Eine Akkordeonspielerin sitzt vor dem Sinti-und-Roma-Denkmal zur Erinnerung an die Ermordnung von mehr als einer halben Million Sinti und Roma unter den Nationalsozialisten. Bild: dpa
Interview von Susanne Memarnia

taz: Herr Krauss, Ihr Verein Amaro Foro demonstriert am Freitag gegen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Warum?

Marius Krauss: Friedrich macht seit Monaten Stimmung gegen Rumänen und Bulgaren sowie gegen Asylsuchende aus den Balkanländern, insbesondere gegen Roma. Er fordert etwa ein „Schnellverfahren“ für Roma, die Asyl beantragen. Aber ein Recht muss für alle gleichermaßen gelten. Leben wir in einem Rechtsstaat oder nicht?

Er meint wohl, die Mehrheit der Deutschen denkt wie er.

Das glaube ich zwar nicht. Aber es stimmt, dass antiziganistische Stimmungen in der Bevölerung stark vorherrschen. Und Friedrich spielt mit der Angst der Leute nach dem Motto: Uns geht es schlecht, und jetzt kommen auch noch die und nehmen uns was weg. Dieser Rechtsruck passiert gerade europaweit.

Aber ist die Angst nicht verständlich? Wenn man durch Berlin läuft, sieht man immer mehr bettelnde Roma.

Gegenfrage: Woher wissen Sie, dass das Roma sind?

Im Interview: Marius Krauss

30, ist Sozialarbeiter und Mitarbeiter bei Amaro Foro e. V.

Stimmt, ich denke das nur. Sie sehen so aus, wie man sich Roma vorstellt.

Unter den Bettlern sind viele, die keinen Roma-Hintergrund haben. Sie werden nur dazu gemacht: Das Betteln wird zu einer Roma-Eigenschaft gemacht, Armut wird dazu gemacht, Diebstahl ebenso. Außerdem: So viele sind es ja auch nicht, die herkommen. Es gibt in Berlin vielleicht 7.000 Rumänen und etwa doppelt so viele Bulgaren. Und wie überall in Europa sind von diesen Migranten etwa zehn Prozent Roma, mehr nicht. Man tut immer so, als kämen sie in Massen – aber das stimmt nicht.

Wieso ziehen eigentlich so viele Rumänen nach Neukölln?

In Neukölln gibt es einen ganz speziellen Fall: Hierher zogen mit der Zeit 1.500 Menschen aus demselben rumänischen Dorf namens Fontanelle. Sie sind der Grund, warum man über den angeblichen Massenzuzug nach Neukölln redet. Außerdem fallen sie auf, sie tragen Kopftuch und viele Röcke und haben viele Kinder. Was niemand sagt: Sie gehören zu den evangelikalen Pfingstlern und dürfen nicht verhüten. Aber weil sie auch Roma sind, ist für die meisten die Sache klar: Roma und viele Kinder gehört ja zusammen. Das passt perfekt zum antiziganistischen Bild. Die anderen Roma, die es auch gibt, erkennt man gar nicht als solche.

Die Neuköllner Stadträtin Franziska Giffey (SPD) hat vor kurzem gesagt, ihr Bezirk stoße an seine Grenzen. Es gebe eine Schule, in der ein Viertel der Schüler aus Rumänien stamme.

Da kann ich nur raten, die Kinder auf mehrere Schulen zu verteilen. Dieses ganze Prinzip mit den so genannten Willkommensklassen, in denen nur Kinder aus einer Region oder einer Ethnie zusammensitzen – manchmal für mehrere Jahre –, ist fragwürdig. Das nennt sich Segregation und ist eigentlich verboten.

Sie sitzen mit Ihrer Beratungsstelle auch in Neukölln. Welche Probleme haben die Menschen, die zu Ihnen kommen?

Die Themen ändern sich. Als wir angefangen haben vor vier Jahren, ging es in der Beratung viel um das EU-Freizügigkeitsgesetz. Fälschlicherweise hieß es ja oft, etwa von Herrn Friedrich, Rumänen und Bulgaren dürften nur drei Monate in Deutschland bleiben. Bei den Ämtern verhielt man sich entsprechend. Diese Barrieren mussten wir erstmal abbauen. Dann ging es viel um Arbeit: Wie finde ich überhaupt welche, wie kann ich mir über Freiberuflichkeit oder einen künstlerischen Beruf etwas aufbauen?

Und heute?

Es kommen zum Beispiel Leute, denen eine Hausverwaltung sagt: Nein, an Rumänen vermieten wir nicht, das sind eh „Zigeuner“. Die nehmen kein Blatt vor den Mund. Bei Ämtern sind sie etwas vorsichtiger mit ihrer Wortwahl, aber ansonsten diskriminieren sie, wo es geht. Also, die Beschwerden über Antiziganismus nehmen zu. Dieses Problem muss endlich angepackt werden. Denn es ist die Wurzel aller Benachteiligungen und sozialer Ausgrenzungen.

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11 Kommentare

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  • P
    PeterWolf

    Also, Roma werden diskiminiert, wenn Nichtromarumänen betteln und für Roma gehalten werden.

    Rumänen werden wiederum diskriminiert, wenn sie für Roma gehalten werden.

    21.000 sind eigentlich ganz wenige.

    Und evangelikale Pfingstler dürfen eben nicht verhüten, weil ihnen das die Religion nun mal vorschreibt.

     

    Das ist argumentativer Bullshit von Berufshelfern, die ihre Existenzberechtigung mit der angeblichen Unmündigkeit ihrer Klientel begründen.

    Und diese damit selbst diskriminieren.

    Dabei handelt diese durchaus rational.

    Wenn auch asozial.

     

    Aber mit dieser willkürlichen Argumentation kann man auch Morde von Neonazis oder Islamisten legitimeren.

    War eben die Weltanschaaung/Religion, die ihnen keine andere Wahl ließ.

     

    Wie armselig.

  • GA
    Grüße aus Wolckenkukucksheim

    "Die Beschwerden über Antiziganismus nehmen zu. Dieses Problem muss endlich angepackt werden. Denn es ist die Wurzel aller Benachteiligungen und sozialer Ausgrenzungen".

     

    Dieses Problem werden Sie nur lösen, wenn Sie den Kapitalismus abschaffen und selbst dann nur bedingt. Insofern machen Sie sich nichts vor und verschwenden Sie ihre Zeit in "Wolkenkuckucksheim".

  • TR
    Trürgen Rittin

    Das ist doch alles Kulturpessimismus. Niemand hat etwas gegen Rumänen, wenn - und da liegt natürlich der Haken - sich diese an Gesetze halten und für Ihren Unterhalt selbst sorgen könnten. Ich glaube die deutschen Steuerzahler haben schlichtweg die Schnauze voll, von ihren erarbeiteten Einkünften 60 Prozent an den Staat abzugeben.

    • H
      Hans
      @Trürgen Rittin:

      Die deutschen SteuerzahlerInnen haben in Mehrheit nicht mal eine Ahnung, wie dieser demokratische Sozial- und Rechtstaat funktioniert. Sie verstehen deswegen auch nicht, wofür die Steuern alle benötigt werden und verfallen dabei auf die einfache Sicht, dass sie nur einen geringeren Teil des eigentlichen Gehaltes behalten. Dass sie damit die ganzen Systeme, von denen sie natürlich auch profitieren bezahlen, sehen sie nur bedingt. Dass Ihr Bruttogehalt einen irrealen Wert darstellt, wollen Sie nicht wahrhaben. Es ist kein perfekter Staat und Korruption ist wie immer allgegenwärtig, doch nur zu schreien: "Die klauen unsere Jobs und wir zahlen deren Hartz-IV" ist unwürdig.

  • B
    Brandt

    @ Sprachgekröse

     

    Sprache erschafft eine mediale Realität. Bettelnde Bulgaren als Roma zu bezeichnen ist eine sprachliche Brücke zu Zigeuner Stereotypen. Wenn ich "Weiße" sagen kann, dann schlage ich einen Tunnel zur Slaven- und Kolonialzeit und wecke Assoziationen.

    • @Brandt:

      Es könnte aber auch sein, das die laufende Kritik an so einer Sprache einfach dazu dienen soll eine statistische Realität zu verschleiern und aus der Diskussion zu nehmen.

       

      Ich habe das Gefühl, das es hier darum geht.

  • S
    Sprachgekröse

    Wenn wie bettelnde Roma aussehenden Menschen ggf. keine Menschen mit Roma-Hintergrund sind, dann könnten Sie doch von augenscheinlich phänotypisch-ziganen BettlerInnen schreiben. Und alle sind zufrieden: die Vermieter, die Roma, die Rumänen, die Zigeuner, die taz-KommentatorInnen …

    • @Sprachgekröse:

      "augenscheinlich phänotypisch-zigane BettlerInnen"

       

      Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, bloß das "Betteln" stört mich und macht mich ein wenig betroffen... man asoziiert schnell so etwas Bettlerisches damit.

       

      Ich schlage "augenscheinlich phänotypisch-zigane FreiberuflerInnen in der Almosenbranche" vor.

       

      Damit kann dann wohl jeder leben.

       

      Mit sich zufrieden und Gruß an die tapferen taz- Schreiber sendend:

       

      Beteigeuze

      • H
        Hans
        @Beteigeuze:

        und @Sprachgekröse:

        Menschlichkeit ist zumindest scheinbar kein Wort aus Ihrer beider Verständnis.

  • Also wenn in Neukölln 1.500 Roma aus Rumänien aus einem einzigen Dorf sind, und in Berlin 7.000 Rumänen und doppelt so Bulgaren sind = 21.000, von denen 10% Roma sind, dann sind also neben der Gruppe aus dem Dorf in ganz Berlin nur 600 Roma, bzw, dieses eine Dorf macht 71% der Roma in Berlin aus? Ist das Glaubwürdig? Die sache ist, das solche zahlendreher das Fundament legen für den nächsten Sarrazin, der dann die Zahlen in die andere Richtung dreht.

  • D
    D.J.

    Ein unbeschränktes Aufenthaltrecht für Unionsbürger besteht für drei Monate. Darüber hinaus nur, wenn die Arbeitssuche "ernsthaft und mit Aussicht auf Erfolg" unternommen wird (abgesehen von Selbsständigen, Studierenden, Rentnert o.ä.). Soweit die Rechtslage. Recht uneindeutig formuliert natürlich. Doch ist die Dreimonatsfrist keinesfalls aus der Luft gegriffen.