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Vorübergehender Verlust des UrteilsvermögensWo des Stöffsche aus dem Bembel ins Gerippte fließt

Apfelwein, Äppelwoi, Ebbelwei - Hessens Antwort auf die Globalisierung schmeckt vielen nicht beim ersten Schoppen. Aber Bier bestellen gilt in manchen Kneipen als Ausdruck geistiger Verwirrung

Apfelernte bei Frankfurt Bild: dpa

Vom ersten Schluck fühlen sich viele abgeschreckt, vom ersten Glas ebenso. Die Liebe auf den ersten Blick zum Apfelwein ist selten. Und mancher gibt früh auf, ungeachtet der von Wirten und Tischnachbarn verbreiteten Theorie, er schmecke erst richtig nach dem soundsovielten Schoppen. Den prognostizierten Zufriedenheitszustand, der mit dem vorübergehenden Verlust des Urteilsvermögens einhergeht, lernen Erstkonsumenten in der Frankfurter Apfelwein-Gastronomie oftmals nicht kennen.

Allerdings ist das, was mancherorts ausgeschenkt wird, nicht dazu angetan, den Einstieg zu erleichtern. Wer das Pech hat, gleich auf einen dumpfen holzbetonten Säuerling zu stoßen, sollte jedoch nicht glauben, er wisse jetzt, was im Rhein-Main-Gebiet aus Äpfeln werden könne. Schon nebenan schmeckts oft ganz anders, selbst wenn auch dort oft nicht mehr das selbstgekelterte Stöffsche aus dem Bembel ins Gerippte fließt. Wer sich dem Selbstversuch weiter hingibt, sollte auf jeden Fall wissen: Die Behauptung, Apfelwein enthalte fast keinen Alkohol, ist empirisch längst widerlegt.

Der Unterschied zwischen Apfelwein und Apfelwein kann himmelweit sein - von Jahrgang zu Jahrgang, je nach Ausbau im Keller, zwischen industriell hergestellter Ware und dem aus der kleineren Kelterei. Mit am wichtigsten: die zum Keltern verwendeten Apfelsorten.

Für Schobbepetzer

Beschisserglas!

Zu den Insignien der Apfelweinkultur gehören der Bembel, der Ausschankkrug aus blaugrauer Salzglasurkeramik, und das gerippte Glas, angeblich so gestaltet, um dem ursprünglich naturtrüben Trank den Glanz der Lichtreflexe zu verleihen. Der Deckel für das Glas, das Schobbedeckelsche, das dritte Attribut, ist auf dem Rückzug. Der Bembel ist Kennzeichen relativ ursprünglicher Apfelweinkultur mit Stammgästen: Auf der Theke quietscht ein großer Bembel im Faulenzer, der Kippvorrichtung, die das Einschenken erleichtert. Vernünftige Schobbepetzer bestellen nach Vorabschätzung des eigenen Konsums einen 4er, 6er usw. Bembel. Durchgesetzt hat sich weithin das Beschisserglas. Es fasst 0,25 l, das echte Schobbeglas jedoch traditionell 0,3 l.

Apfelwein enthält 5 bis 6 Volumenprozent Alkohol. In Apfelweinwirtschaften ausgeschenkt oder in die Flasche gefüllt wird fast ausnahmslos, was aus 20 bis 40 Apfelsorten gepresst und miteinander verschnitten wurde. Die richtige Mischung der Kelteräpfel ist von zentraler Bedeutung. Großkeltereien müssen darauf achten, dass der jeweilige Markengeschmack weitgehend konstant gehalten wird. Damit sind Qualitäts- und Geschmacksunterschiede geringer als bei selbstkelternden Wirten.

Auch in seinen frühen Entwicklungsstadien wird der Apfelwein getrunken, der frisch gekelterte Saft als "Süßer", im Gärungsstadium als "Rauscher" mit noch geringem Alkoholgehalt und abführender Wirkung. Nach der Gärung wird der Wein von den Hefen abgezogen und kommt im auf die Ernte folgenden Jahr in den Ausschank. Nach dem Sommer gilt er als "Alter". Viele Apfelweinwirtschaften keltern nicht mehr selbst, bauen das Stöffsche aber noch im eigenen Keller aus. Ein Nachteil muss das nicht sein, ist das Ausgangsprodukt nur gut. Geht der Wirtschaft der Selbstgekelterte aus, wird ohnehin meist zugekauft.

Wer dem nachspüren will, sollte aus Frankfurts Zentrum in die Umgebung wechseln. Es empfiehlt sich ein Besuch beim Obsthof Schneider in Nieder-Erlenbach. "I will teach you differences" könnte hier über der Tür stehen, hinter der mehr als 25.000 Litern sortenrein gekelterte Apfelweine und verschiedene Cuvées lagern, dazu Apfelsäfte und Apfelsekte. Die kann man im Hofladen des Ökoobsthofes kaufen, auf dessen Gelände über hundert Apfelsorten angebaut werden - davon viele alte und solche, die anderswo kaum noch zu finden sind.

An der Rettung vergessener Sorten kann sich der Kunde auch anders beteiligen - etwa durch den Konsum der extrem unterschiedlich schmeckenden Apfelweine. Zum Hof gehört eine Bioschoppenwirtschaft, wo auch Biospeisen zu bekommen sind. In der Zeit der Apfelblüte unter den Bäumen in der Sonne zu sitzen und sich durch die Sorten zu testen, ist ein empfehlenswertes Wochenendvergnügen.

Der Apfelspezialist Andreas Schneider ist Botschafter des Naturschutzes mit dem Schoppenglas. Was er nicht in Bioqualität selbst anbaut, kauft er von den Streuobstwiesen der Region zu. Wer hier weggeht weiß, wie groß der Unterschied zwischen einer Schafsnase und einem Bohnapfel ist, welche Farbunterschiede die Apfelweincuvées im Glas aufweisen. Er wird den Duft von Ananasrenetten in der Nase haben und nicht mehr leichtfertig behaupten, Apfelwein sei eben Apfelwein. Schneider vermarktet seine Produkte mit dem Slogan "… die hessische Antwort auf …". Beschließen wir den Besuch mit der hessischen Antwort auf Calvados, einem hervorragenden Apfelbrand.

Frankfurt braucht immer eine zweite Chance, nicht nur in Sachen Ebbelwei. Hier leben viele, die hier nicht hinwollten und schließlich doch blieben. Die relativ kleine Möchtegernmetropole am Main wirkt zunächst so unzugänglich wie ihr Traditionsgetränk. Die intensive touristische Vermarktung der Ebbelwei-Kultur hat zum Teil ihren Refugien nicht gutgetan. Der Kern des Apfelwein-Viertels um den Frau Rauscher-Brunnen in Sachsenhausen wirkt heruntergekommen, obwohl die Ballermann-Meile inzwischen das Schlimmste hinter sich hat. Die besseren Lokalitäten finden sich wenige hundert Meter weiter oder in anderen Stadtteilen. Einen Direktvergleich mit kurzen Wegen ermöglichen etwa auf einem kurzen Stück der Textorstraße in Sachsenhausen die drei Apfelwein-Wirtschaften Germania, Feuerrädche und Kanonesteppel. Gedrängtes Sitzen ist hier abends angesagt, das wird notfalls durchgesetzt. Das Dinner for two findet anderswo statt. Wer hier sitzt, will keinen Distinktionsgewinn, obwohl bestimmte Ebbelwei-Kneipen durchaus unterschiedliches Publikum haben. Die Durchmischung trägt auch zu einer gewissen Friedfertigkeit als Grundstimmung bei. Der Hesse ist ohnehin kein Mensch der Extreme, sondern der tolerante Bewohner eines Durchgangslandes.

Bembel und zwei Gerippte Bild: dpa

Die Globalisierung hat auch im Ebbelwei-Milieu Spuren hinterlassen. Die typischen Gerichte der Frankfurter Küche mussten ergänzt werden um das dem Publikumsgeschmack Entsprechende. Zur grünen Soße, zum Rippchen mit Kraut, zum Handkäs mit Musik gibt es seit langem auch die anderswo üblichen Schnitzelvariationen.

Dennoch haben einige Lokale es geschafft, die lokale Küche auch in eine zeitgemäße Richtung weiterzuentwickeln. Die Hardcore-Ebbelwei-Wirtschaft jedoch, in der bärbeißige Kellner die Bestellung von Bier als Ausdruck geistiger Verwirrung abstrafen und der Süßgespritzte als Hochverrat am Stöffsche gilt, ist selten geworden. Überhaupt das Personal: Gehörten früher misanthropische Originale als Kellner zum Grundinventar der Ebbelwei-Gemütlichkeit, hochgeachtet von ihren ewig räsonnierenden Stammgästen, den "Schlääschtschwätzern", so geht der Trend heute auch in Richtung Serviceorientierung, ohne Zweifel ein kultureller Verlust. Denn, um mit Karl Kraus zu argumentieren: Gemütlich bin ich selber.

Die reinsortige Apfelweinwirtschaft ist auf dem Rückzug. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Apfelwein geht bundesweit zurück. Das können auch engagierte Hessen nicht verhindern, die nach wie vor zehnmal so viel vom Stöffsche trinken wie der Durchschnittsdeutsche.

Was man dazu isst

Eine konservative Speisekarte enthält häufig Fleischlastiges, vom Haspel über Rippchen, Rindswurst und andere Wurstsorten bis zum Handkäs mit Zwiebeln ("Musik") und angemachtem Camembert. Derart puristisches Selbstverständnis findet sich in den traditionelleren Wirtschaften in den Stadtteilen, die kleine Gerichte anbieten, weil Personal teuer und die Küche für Größeres nicht geeignet ist. Schon das Traditionsgericht Grüne Soße findet sich hier oft nicht. Viele Wirtschaften zum Beispiel in Sachsenhausen bieten ambitioniertere bodenständige Küche und lösen sich gleichzeitig vom reinen Apfelweinimage, zumal der wirklich nicht zu allem passt. Trotzdem ist man beim eher Deftigen auf der sicheren Seite, wenn man beim Ebbelwei bleiben will. Das gilt nicht für sortenreinen Apfelwein oder Apfelsekte, die sich inzwischen selbst in der Spitzengastronomie finden.

Für die robuste Verdauung: Handkäs mit Musik Bild: wrw/pixelio.de

Einige Adressen

Zu den drei Steubern, Dreieichstr. 28, Frankfurt, Traditioneller Purismus. Schließt angeblich, wenns Stöffsche aus ist.

Zum Rad, Leonhardsgasse 2, Frankfurt-Seckbach. Einer der schönsten Sommergärten mit viel Betrieb und langer Speisekarte, die nicht nur apfelweinorientiert ist.

Zur Krone, Wilhelmshöher Str. 163-165, Frankfurt-Seckbach. Gleich gegenüber, für die Rippchen-und-Kraut-Fraktion mit viel Lokalkolorit und ebenfalls einem Garten.

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