Vorsitzender der „Jungen Alternative“: Der ängstliche Rebell
Erst kurz ist Philipp Ritz Vorsitzender der AfD-Jugend. Mit Antifeminismus machte er Schlagzeilen. „Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit“, sagt er kühl.
SIEGBURG / KÖLN taz | Die Welt von Philipp Ritz besteht aus Angst. Angst vor Überfällen, Angst vor Diebstahl, Angst vor Sozialbetrug. Davor, dass ihn jemand in der Disko zusammenschlägt. Dass Deutschland sich überschulden könnte und ihm eine Frau seinen Job wegnimmt, wegen Feminismus, Quoten, Gleichmacherei. Und wenn es so weitergeht, da ist sich Philipp Ritz sicher, ist auch das Geld bald nichts mehr wert.
„Das kann doch nicht sein“, sagt er, wenn er über diese Themen redet. Seit drei Monaten ist Philipp Ritz Vorsitzender der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der Alternative für Deutschland. Ihn kennt fast niemand, genauso wenig wie die Junge Alternative. Die Mutterpartei AfD ist gerade mit sieben Prozent in das Europaparlament eingezogen.
Philipp Ritz bleibt kühl. „Ich habe mir zwei bis drei Prozent mehr erhofft“, sagt er. Alle paar Minuten bricht bei der Wahlparty der AfD Jubel aus, wieder ist das Ergebnis um ein Zehntelprozent gestiegen. „Wir konnten im Wahlkampf als Junge Alternative einen erheblichen Anteil zusteuern“, sagt Ritz. Parteifreunde beschreiben Philipp Ritz als Macher, als Parteimanager. „Ritz ist kein Ideologe“, sagt einer.
„Geile Flyer“
Einen Monat zuvor steht Philipp Ritz, 32, schwarzer Anzug, rosafarbenes Hemd, akkurat gegelte Haare, auf dem Vorplatz des Kölner Doms, die Hände in den Taschen. Die AfD macht Wahlkampf, eine Jazzband spielt, bevor die Spitzenkandidaten sprechen. Philipp Ritz beobachtet den Auftritt, „Rampenlicht ist was für die anderen“, sagt er.
Während ein Feuerwehrauto mit der Aufschrift „Eurowehr“ hupend auf die Domplatte fährt, meint er: „Es liegt in unserer Verantwortung, welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen.“ Gerade will er erklären, wieso er glaubt, dass es Deutschland ohne den Euro besser gehen würde, da kommt ein Parteifreund auf ihn zu. „Hast du die geilen Flyer gemacht?“ Philipp Ritz nickt. „Die sind echt der Hammer.“ Ritz lächelt stolz.
Alle paar Tage setzt er sich an seinen Computer und bastelt mit Photoshop neue Themenplakate. Da ist dann etwa die Rückenansicht von fünf Frauen in knappen Bikinis zu sehen. „Gleichberechtigung statt Gleichmacherei“ steht darunter. „P(r)o Vielfalt in Europa.“ Damit hat es die Junge Alternative sogar als „Verlierer des Tages“ in die Bild-Zeitung geschafft. „Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit“, sagt Philipp Ritz ungerührt. „Das war nicht bloß ein Scherz.“ Die Frauen auf dem Bild hätten unterschiedliche Hautfarben, Poformen, Haarschnitte. Das symbolisiert die Vielfalt in Europa, sagt er. Sexismus? „Na ja“, Ritz wiegt den Kopf: „Die Frauen haben sich ja freiwillig fotografieren lassen.“
Als Philipp Ritz gerade ein paar Tage Vorsitzender war, hat er sich seine erste Facebook-Kampagne ausgedacht. Mitglieder der Jungen Alternative halten Schilder hoch, auf denen Sätze stehen wie „Ich bin kein Feminist, weil Hausfrau ein Beruf ist“ oder „Ich bin keine Feministin, weil ich selbst was in der Birne habe“. Die Emma warf der JA vor, rückwärtsgewandt zu sein, antiemanzipatorisch. Sogar in Saudi-Arabien wurde über die Kampagne von Philipp Ritz berichtet: Junge Deutsche kämpfen gegen die Übermacht der Frauen, hieß es. Einige hundert Mal wurden die Bilder geteilt, fast 3.000 Follower gewann die Junge Alternative bei Facebook hinzu. „Besser hätte es wirklich nicht laufen können“, sagt Ritz und fängt an zu kichern.
Schnittmengen mit der neuen Rechten
Auf der Bühne in Köln spricht AfD-Vorsitzender Bernd Lucke über den Euro und den quasi sicheren Sitz der AfD im Europaparlament. Philipp Ritz hört ihm nicht zu. „Muss nicht sein, ich kenne die Rede schon.“ Er blickt zur Seite, an den Rand der Domplatte. Die Antifa hat sich zur Demo aufgestellt. Er läuft ein paar Schritte in die Richtung der Demonstranten, die Polizei hat sie abgeschirmt. „Nicht wir sind gefährlich, die sind gefährlich“, sagt er. Was die Protestler rufen, kann er nicht hören. „Ist ohnehin immer das Gleiche.“
Die Alternative für Deutschland polarisiert. „Wir leben in einer Konsensdemokratie“, sagt Ritz, „es gibt zu viele Denkverbote, die müssen wir aufbrechen.“ In der AfD geht es oft um Denkverbote, sie behauptet von sich, sie hätte den „Mut zur Wahrheit“.
Der Soziologe Alexander Häusler sagt: „AfD und Junge Alternative profilieren sich damit, politisch unkorrekt zu sein.“ Der Parteienforscher hat die beiden Organisationen untersucht. Sein Urteil ist eindeutig: „Es gibt bei der Jungen Alternative deutliche inhaltliche Schnittmengen mit der Neuen Rechten.“ Der Landesvorsitzende von Baden-Württemberg etwa äußert sich regelmäßig in rechtskonservativen Blättern wie der Blauen Narzisse, der Aula und der Jungen Freiheit. „Die rechte Klientel wird bewusst angesprochen“, sagt Häusler. Die JA steht laut Häusler für den rechten Flügel der AfD. „Sie ist wie alle Jugendorganisationen noch mal deutlich radikaler als die Gesamtpartei.“
Der „Genderwahnsinn“
Nicht Euroskeptizismus und Wirtschaftspolitik stehen im Mittelpunkt, sondern Sicherheit in U-Bahnen und der „Genderwahnsinn“. Die Ausdrucksweise der Plakate und Flyer erinnert an die Sprache der Rechten. „Selbstjustiz ist die neue Polizei“, heißt es auf einem der Flyer von Philipp Ritz. „Kriminalität härter angehen. Harte Arbeit wartet“, steht auf einem anderen. Das sind die Themen, mit denen die JA bei jungen Wählern punkten will. Bei der letzten Bundestagswahl hat die AfD bereits das Klischee der Seniorenpartei widerlegt. Wäre es nach den Wählern unter 30 gegangen, säße sie heute im Bundestag.
Ein Nachmittag im April, Philipp Ritz sitzt in einem Brauhaus in Siegburg bei Bonn. Dunkle Fliesen, Holzverkleidung, gedimmtes Licht. In der Ecke ein Stammtischwimpel, im Radio dudelt Helene Fischer. „Atemlos durch die Nacht, spür’ was Liebe mit uns macht.“ Die Welt, vor der sich Philipp Ritz fürchtet, ist weit weg von hier. In Brasilien zum Beispiel, wo die Menschen mit der Gefahr leben, jederzeit erschossen zu werden.
Aber auch in Köln, da ist es inzwischen fast genauso gefährlich, sagt er. „Wir erleben die Folgen einer Kuscheljustiz, die bei Regelverstößen erst viel zu spät Grenzen aufzeigt.“ Seine Sätze sind verschachtelt, lang, die Stimme ist leise. Seine Gedanken springen: Vom Philosophen Thomas Hobbes und dem Gewaltmonopol des Staates über Kinder ohne Schulabschluss hin zu Vergewaltigern, die frei rumlaufen.
Philipp Ritz macht eine kurze Pause, ein Schluck Cola light. Er hält inne, stützt eine Hand gegen die Tischplatte, wiegt seinen massigen Körper im Stuhl und nimmt Anlauf. „Unser Slogan als Junge Alternative ist ja ’Verstand statt Ideologie‘. Ich bin der festen Überzeugung, dass es das heute braucht, mehr Verstand.“ Philipp Ritz gehört einer Partei an, die oft auf ihren Verstand hinweist. Akademiker und Geschäftsleute haben die AfD gegründet, ihr Vorsitzender Bernd Lucke ist Professor für Wirtschaftswissenschaft.
Philipp Ritz hat Betriebswirtschaft studiert. Er stammt aus einem Akademikerhaushalt: Mutter Apothekerin, Vater Ingenieur. Ritz ist Manager bei einem Pharmadisponenten, dort überlegt er sich neue Geschäftsmodelle. „Ein bisschen wie in der Politik“, sagt er. Politiker will er trotzdem nicht sein. Er will in keinem Parlament sitzen, nicht im Landtag, nicht im Europaparlament, zumindest sagt er das. „Ich will die Dinge im Stillen verändern.“
Der Mehrparteigänger
Die wenigen Gäste im Brauhaus sitzen an diesem Nachmittag vorne an der Bar oder draußen. Die Kellnerin läuft vorbei. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“ Wenn vor ihr die Tür zur Küche aufschwingt, dringt der Klang fester Schläge heraus. Die Schnitzel werden geklopft. Philipp Ritz hat schon viel Zeit in Brauhäusern und Gaststätten wie dem Roten Löwen in Siegburg verbracht. Hier treffen sich die Ortsvereine von Parteien. Beim Bier wird ausgeklüngelt, wer Bürgermeisterkandidat wird und wo das Grillfest stattfindet.
Ritz war Kassenwart, Beisitzer, Schriftführer, stellvertretender Ortsvereinsvorsitzender bei verschiedenen Parteien. Im Wahlkampf 1998, als kurz darauf CDU und FDP abgewählt wurden, geht er in seinem Heimatort Dahlem in der Eifel zur Jungen Union. „Weil mir Helmut Kohl sympathisch war“, sagt er, „und weil ich Rot-Grün für eine Gefahr hielt“. Später ist er bei der FDP und den Julis aktiv, die Wirtschaftspolitik war besser als bei der CDU, sagt er. „Es wurde fast nichts von dem umgesetzt, was 2009 im Wahlprogramm stand.“ Er klingt resigniert, enttäuscht. Er glaubt, dass Politiker korrupt sind, dass sie irgendwann anfangen zu lügen, um ihre Macht zu sichern.
Deshalb hat er darauf gewartet, dass eine neue Partei gegründet wird. „Eine, die Schluss macht mit den Seilschaften und auf rationale Politik setzt.“ Noch am selben Tag, als die Website der Alternative für Deutschland online geht, tritt er ein. Endlich tut sich mal was, denkt er. Ihn fasziniert, dass es bei der jungen Partei keine Tabus, keine Denkverbote gibt. „Wir sind bürgerliche Rebellen“, sagt er.
Das klingt nach Aufstand. Die AfD will jetzt das Europaparlament aufmischen, sich von der Konsensdemokratie absetzen. Die Stimmung auf der Wahlparty am Sonntag ist euphorisch. Philipp Ritz ist mitten drin. Für ihn wird sich jedoch nichts ändern. Er wird später nach Hause fahren, nach Sankt Augustin bei Bonn. Dort ist es immer noch am sichersten. Morgen ist wieder ein ganz normaler Tag. Er wird sich an seinen Laptop setzen, Photoshop starten. Philipp Ritz hat schon eine Idee für die nächste Bildmontage. Der Schreibtisch ist ein guter Ort für einen bürgerlichen Rebellen.
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