Vorsitz der Kongresspartei in Indien: Sieg für „King Kong Kharge“
Mallikarjun Kharge ist neuer Vorsitzender der Kongresspartei. Damit liegt der Vorsitz seit 1998 wieder außerhalb der Nehru-Gandhi-Familie.
Seit Montag hatten 9.900 Delegierte für die nach Parteiangaben 40 Millionen Mitglieder über den künftigen Parteivorsitz abgestimmt. Kharge kam auf überwältigende 7.897 Stimmen, sein einziger Gegenkandidat, der 66-jährige Shashi Tharoor, auf 1.072.
Beiden ist gemein, dass sie aus Südindien stammen. Kharge aus Karnataka, Tharoor aus Kerala. Letzterer war viele Jahre UN-Diplomat, ist ein anerkannter Schriftsteller, Unterhausabgeordneter und international viel bekannter als Kharge. Kharge kommt aus einer oberen Kaste, gilt als eitel und elitär und hat im Gegensatz zum Dalit Kharge nicht die Unterstützung der Familie Nehru-Gandhi, die bisher die Partei führte.
Diese Familie dominierte auch jahrzehntelang Indiens Politik. Doch seit Narendra Modi von der hindunationalistischen Volkspartei (BJP) 2014 zum Premierminister gewählt wurde, hat der Kongress weiter an Macht und Einfluss verloren.
Die Kongresspartei hat immer mehr Einfluss verloren
Korruptionsvorwürfe plagen die Partei, aber auch ein Mangel an parteiinterner Demokratie. In den letzten Jahren hat der Kongress immer mehr Regierungen in den Bundesstaaten an die BJP verloren. Die fährt im säkularen Indien einen Rechtskurs und setzt sich auf Kosten von Minderheiten für die hinduistische Mehrheit ein.
Der einst mächtige Kongress stellt heute nur noch zwei Ministerpräsidenten, die BJP dagegen zwölf. Nach den erneut verlorenen Parlamentswahlen 2019 gab der heftig kritisierte Rahul Gandhi den Parteivorsitz nach weniger als zwei Jahren wieder ab. Seine Mutter Sonia Gandhi, die schon seine Vorgängerin war, übernahm wieder die Führung.
Seitdem wechselten nicht wenige die Seiten, darunter der amtierende Luftfahrtminister Jyotiraditya Scindia (BJP). Der heute 51-Jährige sah im Kongress zu wenig Aufstiegschancen für Jüngere. Tatsächlich wurden auch Kongressmitglieder gezielt abgeworben. Zudem sieht sich die indische Opposition Schikanen, Durchsuchungen und Festnahmen etwa durch Finanzbehörden ausgesetzt.
In dieser schwierigen Lage sah es zunächst so aus, als fühlten sich nur wenige gewappnet, das Erbe und die Rettung der Partei anzutreten. Doch wurden die Kampagnen von Kharge und Tharoor in der Öffentlichkeit positiv aufgenommen. Zugleich riss Rahul Gandhi, der sich derzeit auf einem fünfmonatigen Marsch über 3.500 Kilometer quer durch Indien befindet, die Partei aus ihrer Passivität.
Kharge ist loyal gegenüber der Nehru-Gandhi-Familie
Der Politveteran Kharge genießt parteiübergreifend Respekt, ist bereits Oppositionsführer im Oberhaus, spricht mehrere Lokalsprachen und gilt als Identifikationsfigur für die meist ländliche Wählerschaft. Denn die regierende BJP gilt in vielen Regionen als Partei wohlhabenderer Städter.
Bei Kharges Geburt stand Indien noch unter britischer Kolonialherrschaft. Bis heute verbinden viele die Kongresspartei mit dem indischen Freiheitskampf und fühlen sich deshalb der Familie Gandhi-Nehru verbunden.
Ob Kharge aber auch die Jungwählerschaft mobilisieren kann, ist fraglich. Nach einem Aufbruch sieht seine Übernahme des Vorsitzes nicht aus. Viele sehen in seiner erklärten Loyalität gegenüber der Nehru-Gandhi-Familie vielmehr eine Absicherung ihres Einflusses.
„Während Kharge im Alter von 80 Jahren seine besten politischen Tage hinter sich gelassen haben mag, sollten wir nicht vergessen, dass er der Sohn eines armen Fabrikarbeiters ist, dessen Mutter starb, als er sechs Jahre alt war, er einer der ersten aus seiner Familie war, der die Universität besuchte, der die Gewerkschaft der Fabrikarbeiter in Gulbarga gründete und auf Blockebene mit der Politik begann“, sagte der politische Beobachter Rajdeep Sardesai. Der Bestsellerautor Chetan Bhagat beschrieb Kharges Wahl hingegen kritisch als Referendum über eine familiengeführte Partei.
Das Wochenmagazin India Today feierte ihn auf Twitter als „King Kong Kharge“. Der jüngere Tharoor wird auch später noch Chancen auf den Vorsitz haben. Auf nationaler Ebene stehen die nächsten Wahlen 2024 an.
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