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■ Vorschlag„Jetzt ist Sehenszeit“: Ausstellung über Max Frisch im Literaturhaus

Die einzige Vitrine steht gleich neben dem Eingang, und die ist ironisch gemeint. Zu sehen ist darin ein Foto, das Max Frisch vor einer Ausstellungsvitrine zeigt. Daneben liegt ein Textauszug, der seine ambivalente Haltung gegenüber Ausstellungen verdeutlicht: Eigentlich hielt er sie im Informationszeitalter für überflüssig. Schwere Voraussetzungen also für präsentationswillige Frisch- Adepten. Julian Schütt, der die Ausstellung des Frisch-Archivs Zürich konzipierte, rettet sich in einen spielerischen Umgang mit dem Material. Keine getrockneten Papierleichen in Vitrinen hat er zusammengetragen, sondern eine lebendige Multimedia-Show mit Filmausschnitten, Tondokumenten, Dias und – natürlich – Manuskripten und Briefen inszeniert. Aber alles Schriftliche wird ästhetisch so überformt, hinter Plexiglas vertikal aufgerichtet und allerlei Schnickschnack versehen, als wage man es schon gar nicht mehr, allein aufs Materielle der Literatur zu setzen.

Die Konzeption richtet sich an ein leicht infantiles Publikum. Da liest man etwa den folgenden Textauszug: „Unsere Gier nach Geschichten, woher kommt sie? Man kann die Wahrheit nicht erzählen. Das ist's! (...) Die Wahrheit ist ein Riß durch die Welt unseres Wahns; eine Erfahrung, aber keine Geschichte.“ Die Tischplatte darunter ist zerbrochen und in viele Scherben zersprungen. Mit roter Farbe ist ein Riß darauf gemalt. Das Kapitel über den technischen Menschen „Homo Faber“ ist, Symbol, Symbol, mit Halbleiterplatten verziert. Ähnlich überdeutlich auch der Abschnitt „Spiegelstadien“. Auf einem mit Rückspiegeln beschraubten und mit Spiegelscherben verzierten Tisch geht es um das für Frisch so zentrale Thema Identität, und man kann dazu einen Auszug aus den Notizheften lesen: „Man ist in gewisser Weise wirklich das Bild, das einen aus dem Spiegel der anderen Menschen anschaut – und umgekehrt gesprochen, wir sind die Mitwirkenden auch am Anderen.“

Die Notizhefte, Keimzellen von Frischs Denken, und das für die Nachkriegsliteratur zentrale „Tagebuch 1946–49“ stehen nicht zu Unrecht am Anfang der Ausstellung. Aber warum müssen die Hefte unbedingt als Fähnchen aufgestellt werden, als wolle man Partyhäppchen aus Schweizer Käse reichen? Das Material wirkt viel stärker, wo es nicht inszeniert, sondern nur gezeigt wird: etwa in einem „Abschiedsbrief“ Frischs 1990 an den Verlag Volk und Welt, in dem er die Wende kommentiert und lapidar von seiner Krebserkrankung berichtet: „Mit mir geht's zu Ende.“ Jörg Magenau

Literaturhaus, bis 25.7, Fasanenstr. 23, tgl. außer Di., 11 bis 19 Uhr

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