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SanssouciVorschlag

■ Reichspolterabend auf Deutschland-Tournee im Tempodrom

Die Legende lebt und muß leben, solange sie nicht von Essen auf Rädern überrollt wird. Reichspolterabend. Eine Marketing- Promotion der Gesellschaft für lauteren Kabarettismus. Warum schließlich soll sich der politisch weitgehend korrekte Komiker zwei Stunden schweißtreibend den Arsch aufreißen, wenn dieselbe Ernte für das Entertainer-Konto inclusive Mehrwertsteuer auch mit einem guten Viertelstündchen Solo in der Bütt und einigen schnell eingespielten Ensemble-Nummern einzufahren ist?

Die Protagonisten dieses bunten Abends zur alldeutschen Wirklichkeit namens „Reichspolterabend“ lassen sich nur selten auf ein Mit- und Gegeneinander ein. Leider, leider. Gerät doch gerade dann das kollektive „Bright side of life“ zur wahnsinnigen Kalauer-Ballade auf schönstem Dada-Niveau. Ansonsten aber läuft ein durchaus unterhaltsames Starfestival ab, bei dem ein Poltergeist nach dem anderen routiniert und wohldosiert mit seinen persönlichen Glanzmacken die Sau rausläßt. Alt-Tornado Arnulf Rating muffelt sich als hüftschwenkende CARE-Schwester („Therapie ist mein Hobby“) vom OP-Zelt in Ruanda durch bis zu den Blondinenwitzen der Saison. Als katastrophengeiler Voyeur mit Blindenbinde belegt Horst Schroth, wie kurz die Strecke zwischen Comedy-Stadl und Vollgas-Spaßguerilla geworden ist. Achim Konejung als subversiver Clayder-Mann am Wohltemperierten kann jederzeit und aus dem Stand eine Doppel-CD mit den absoluten Glamour-Jingles der Werbebranchen einspielen. Mit prophetischer Stimme posaunt Matthias Beltz die Wahrheit über den Kanzler der Deutschen hinaus: Nicht ein Landesvater Helmut Kohl wird im Urnengang obsiegen, sondern die gütig-strenge Helmutti. Schließlich widerlegt der immer prachtvoller verwahrloste kölsche Jeck Heinrich Pachl alles Gerede von der Einheit mit einer strapaziösen Reibeisen-Tirade über den expandierenden Krieg zwischen Rauchern und Nichtrauchern. Da riecht's gleich nach kaltem Rauch, obwohl der Tabakverzehr im Interesse der Akteure nachdrücklich untersagt bleibt.

Dies alles läßt gehörig ablachen im angenehmen Gefühl, auf der besseren Seite zu stehen. Rüberreichen sollte man unbedingt noch diesen Satz für das Poesiealbum: „Alkohol ist stolz, ein Deutscher zu sein!“ Solche Weisheit wird auch dann noch gelten, wenn längst vergessen ist, „daß Jesus und Casanova sich vor allem durch den Gesichtsausdruck beim Nageln unterscheiden“. Ulrich Reineking-Drügenmöller

Morgen und 3.10., 20 Uhr, Tempodrom, In den Zelten.

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