■ Vorschlag: Madonnen u.a.: Zeichnungen des Barock im Kupferstichkabinett
Der Tod erscheint als nackter Muskelmann mit Pfeil und Bogen. Achtlos schreitet er über die am Boden verstreut liegenden Insignien weltlichen Strebens – Bildung, Macht, Reichtum – hinweg und zielt auf einen ausgezehrten Mann. Während Tyche, Göttin der Schicksalsfügung, vereint mit Amor und einem Krieger sich müht, den Tod abzuwenden, läßt die umgestürzte Sanduhr am unausweichlichen Ende keinen Zweifel zu. Die Illustration aus der Feder des Augsburger Zeichners Matthias Gundelach von 1651 spiegelt die Realität einer Epoche, für die der Danse macabre, der Totentanz, zur Alltagserscheinung und der Musenkuß zur Rarität wurde. Denn 30 Jahre lang wütete im „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ bis 1648 der Krieg. Nach dem landläufigen Urteil der Fachwelt hatte die deutsche Kunst daher im 17. Jahrhundert an der großen europäischen Malerei, die wesentlich unter italienischem Einfluß die Schriftzüge der flandrischen und niederländischen Künstleravantgarde trug, kaum einen nennenswerten Anteil. Eine Ausstellung unter dem Titel „Zeichnungen des deutschen Barock“ im Kupferstichkabinett belehrt, daß dieses generelle Urteil zu kurz greift.
Mit 106 Zeichnungen und Miniaturmalereien präsentiert das Kupferstichkabinett einen geographischen Querschnitt durch das Kunstschaffen jener Zeit. Geordnet wurden die Objekte nach neun Kunstlandschaften, von Schwaben über Böhmen und Schlesien bis Königsberg im einstigen Ostpreußen. Diese Einteilung ist angesichts des in zahllose Landesherrschaften zersplitterten Reichsgebildes fraglos eine Orientierungshilfe. Die Einleitungstexte zu den jeweiligen Regionen und Kulturzentren tragen ihr Übriges zum Verständnis bei. Dennoch wird nicht so recht klar, welche Einflüsse und inwieweit politische und soziale Verhältnisse das regionale Kunstschaffen beeinflußt haben. Und so findet sich der Besucher etwas verloren staunend in einer barocken Galerie mit Bettler- und Landsknechtsdarstellungen, Allegorien, Landschaftsmotiven, Porträts aus dem Adels- und Patriziatsmilieu, Alltagsszenen, Stilleben, Fresken- und Epitaphentwürfen, biblischen und mythologischen Szenenbildern wieder. Die Motivsammlung strahlender Monstranzen und Madonnen, verkrüppelter Bettler und weinseliger Gesellschaften ist wie der Bilderbogen einer widersprüchlichen Zeit, die nur durch die Maske des grinsenden Narren zu verstehen ist. Ansgar Oswald
Bis 2. 6., Di-Fr, 9-17 Uhr, Sa/So 10-17 Uhr, Kupferstichkabinett am Kulturforum, Matthäikirchplatz 6, Tiergarten
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