■ Vorschlag: Carlos Sauras „Peppermint Frappe“ von 1967 wiederentdeckt
Lange bevor Carlos Saura zum König der Flamenco-Szene avancierte, erntete er als Buñuel-Schüler Lorbeeren. Seinem Lehrer widmete Saura 1967 „Peppermint Frappé“, seinen vierten Spielfilm, der jetzt erstmals in Deutschland zu sehen ist. Dem Film fehlt nichts, was Modebewußten die Sechziger lieb und teuer macht: das rote Corvette-Cabrio, falsche Wimpern, transportable Plattenspieler und Miniklappräder. Auch die Filmsprache ist sehr „sixties“: schwarzweiß eingefärbte Rückblenden, Rotlicht im Fotolabor und ein gewisser Hang zur deutlichen Symbolik. Doch die Zeichen der Zeit schweben bei Saura nicht referenzlos über die Leinwand, sondern haben – in schön verblichenen Farben – eine gesellschaftskritische Intention. „Peppermint Frappé“ erzählt eine tragisch-surreale Dreiecksgeschichte während der Franco-Zeit. Es ist Winter in Spanien, kahle Bäume ragen in die kristallblaue Luft, als der Röntgenarzt Julian (José Luis López Vázquez) nach langen Jahren wieder seinen Jugendfreund Pablo (Alfredo Mayo) besucht. Pablo führt dem Kumpel stolz seine blonde, junge Ehefrau Elena (Geraldine Chaplin) vor. Julian glaubt, Elena schon einmal gesehen zu haben, und versucht nach der aufwühlenden „Wiederbegegnung“ in ihren Besitz zu gelangen. Zweigleisig: Einerseits stellt er ihr dabei auf klassische Ehebrechertour nach, andererseits wird ihm plötzlich die Ähnlichkeit Elenas mit seiner Sprechstundenhilfe Ana bewußt. Geraldine Chaplin spielt beide Rollen, womit Saura auf die Heilige- Huren-Rollenerwartung an die moderne Frau anspielt. Ganz Modefetischist, bedrängt Julian die Provinzmaus Ana fürderhin, doch etwas aus sich zu machen, mehr Bein zu zeigen, sich zu schminken. Ana unterwirft sich erst schüchtern, dann lüstern und verwandelt sich unter Julians schöpferischen Händen zu einer zweiten Elena.
Zwar kann man Sauras Sozialkritik an Machomännern und Modefetischismus mit dem Stock fühlen. Trotzdem ist „Peppermint Frappé“ kein moralischer Agitationsfilm, dazu gibt es zu viele Mehrdeutigkeiten. Insbesondere diese rätselhaften Narben der Damen zwischen Daumen und Zeigefinger, die sich durch das Geschehen leitmotivieren, versprühen den abgründigen Charme katholischer Erotik. Es gelingt Saura in diesem Film, auch den nichtreligiösen Zuschauern das sündige Gefühl zu vermitteln, daß sie sich in eine verbotene Geschichte haben verwickeln lassen. Dorothee Wenner
Ab heute im fsk, Adresse und Termine siehe cinemataz
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