■ Vorschlag: Rainer Hachfelds Jugendstück „Eins auf die Fresse“ im Grips Theater
Warum hat sich Matthias Erbach, genannt Matze, umgebracht? Die Klasse 8b ist zwar betroffen, versucht aber, den toten Mitschüler schnell zu vergessen. Die Lehrer halten Liebeskummer für die einfachste Erklärung und sind's damit zufrieden. Die Mutter ist besorgt, kann sich den Freitod nicht erklären und will nicht wahrhaben, daß der Stiefvater Matze zu Hause regelmäßig windelweich geprügelt hat. Überall wird vertuscht, verdrängt, Verantwortung abgelehnt.
Rainer Hachfelds Jugendstück baut subtil eine Krimispannung auf, als gelte es, einen Mörder zu entlarven. Was allerdings Stück für Stück zutage tritt, ist nicht die Identität eines Einzeltäters, sondern die tiefgreifende Verflechtung von physischer und psychischer Gewalt, von Versagen der Erziehenden wie der Mitschüler. Während die Familien weder Halt noch Verständnis bieten können, reagieren die Heranwachsenden mit Verunsicherung. Ihre Sehnsucht nach Anerkennung schlägt um in Aggression. Lukas etwa (René Schubert) ist ein Kerl, der sich einfach nimmt, was er will. Wer aufmuckt, kriegt eins in die Fresse. Lukas alias Lucky ist selbsternannter Anführer einiger Schüler, die sich gerne an sadistischen Spielen beteiligen – solange das Opfer ein anderer ist. Und doch ist auch Lucky nur ein hilflos nach Selbstwertgefühl und Bestätigung suchender Kerl. Rüdiger Wandel hat Rainer Hachfelds Szenenfolge schnell und pointiert inszeniert, die sieben Schauspieler in dreizehn Rollen stellen die Figuren überzeugend dar. Durch wenige Versatzstücke wird die Bühne (Cornelia Brey) zum Schulhof, zur Sporthalle oder zum stilvollen Wohnzimmer der alleinerziehenden Rechtsanwältin.
Einfache Lösungen für die „strukturelle Gewalt“ an Schulen gibt es weder in der Wirklichkeit noch in dieser Geschichte. Immerhin, am Ende müssen sich alle ihre Mitverantwortung eingestehen, und eine Versöhnung ist abzusehen. Wie nahe dieses Theaterstück der tatsächlichen Situation an den Schulen kommt, zeigt eine Ausstellung mit Zeichnungen zum Thema im Foyer: Mobbing, Erpressung und tätliche Gewalt sind Schulalltag geworden. Axel Schock
Nächste Vorstellungen 9. bis 11.12. um 10 Uhr, 12.12. um 18 Uhr, 13.12. um 19.30 Uhr im Grips Theater, Altonaer Straße 22
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