■ Vorschlag: Kulturelles Crossover – Largo und Kadda Cherif Hadria im Pfefferberg
„Osten ist Osten und Westen ist Westen, und die beiden werden sich niemals treffen“, soll der britische Kolonialschriftsteller Rudyard Kipling einmal gesagt haben, und meinte die Unvereinbarkeit von Orient und Okzident. Neuerdings erfährt solches Denken durch selbstberufene Zivilisationskonflikt-Architekten à la Huntington wieder eine Neuauflage: kulturelle Zugehörigkeit als Schicksal – als wäre Kultur nicht selbst hybrid, insbesondere unter den Bedingungen einer auch popkulturell universalistischen Moderne. Lange Rede, kurzer Sinn: Ein Blick in den Pfefferberg heute abend dürfte genügen, um sich vom Stand der musikalischen Konvergenz der Kulturen ein Bild zu machen. Mit der belgischen Gruppe Largo und dem Algerier Kadda Cherif Hadria treffen gleich zwei Exponenten orientalisch-okzidentaler Stilverbindungen aufeinander, um die Vorzüge des Kultur-Crossovers zu zelebrieren.
Nebenberufliche Praktiker einer musikalischen Konvergenz zwischen den Kulturen. Die belgische Gruppe um Mustapha Largo, der zwischen den Konzerten Geld mit Busfahren verdient Foto: promo
Ein Thema, das die Multiinstrumentalisten von Largo vor allem mit der vergangenen arabisch-andalusischen Synthese verbinden, glaubt man Titeln wie „Alhambra“ oder „Andalucia“. Musikalisch fällt die Metaphorik etwas weniger didaktisch aus, und die Sinnproduktion verläuft über die Sinne, wenn sich nordafrikanischer Gnawa, volkstümlicher Chaabi, Funk und Rock die Hände geben. Mit dieser Rhythmik im Gepäck tourten der gebürtige Marokkaner Mustapha Largo und seine belgischen Partner Marc van Eyck und Philippe „Boulon“ Vanheer im letzten Jahr durch halb Europa. Eine ziemliche Tortur für nebenberufliche Musiker, wie Mustapha Largo in einem Interview einräumte: „Es ist schon schwer, wenn man um vier Uhr morgens aufstehen und als Busfahrer arbeiten muß bis eins, dann in den Tourwagen springt und Hunderte Kilometer fährt, um in Berlin ein paar Konzerte zu geben, und wenn man dann zurückkommt, wieder um vier Uhr zur Arbeit muß.“
Da hat es der in Frankreich lebende Kabyle Kadda Cherif Hadria besser, der als Komponist und Interpret von Filmmusik-, Radio- und Theateraufträgen leben kann. Seine Rai-Fusion vermengt er mit Flamenco, Salsa- und Jazz-Elementen. Diese Mixtur ist etwas verspielter, setzt weniger auf den unbedingten Funk-Faktor und mehr auf die ausdrucksstarke Stimme des Sängers, ohne dabei jedoch an Tanzbarkeit zu verlieren. Und das ist schließlich wichtig, um dem Silvesterabend den richtigen Schwung zu geben. Damit 1997 ein Jahr wird, in dem die eingebildeten Grenzen zwischen Norden, Süden, Osten und Westen weiter verschwimmen. Daniel Bax
Heute, ab 22 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Mitte
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