■ Vorschlag: Junge Punker sind süß: „So war das SO 36“ im Kino in der Brotfabrik
Im nachhinein expandiert das kleine Häuflein Irokesen-Punks, das früher am Kotti schnorrte, häufig zum klassischen Kreuzberg- Autonomen der achtziger Jahre. Für Beteiligte sah die Geschichte der „Berliner Krankheit“ ganz anders aus, deshalb hat Manfred Jelinski auch den Dokumentarfilm „So war das SO 36“ herausgebracht. Dort grummelt der zerrupfte Blixa Bargeld monotone Texte über Fleisch ins Mikrophon, FM Einheit klopft dazu Stahlplatten weich, und bei Ziggy XY fummelt Dr. Motte am Baß herum. Sogar die Waver sehen süß aus: Johnny von System trägt eine Rundbrille und singt über Touristen am Ku'damm, als wäre er bei den Clash. Heute macht er den Radio-Fritzen.
Der Film versteht sich als „ein Abend der Nostalgie“. Ungefiltert werden an die 20 Bands noch mal bei ihren Absturzkonzerten gezeigt, während Jenny von ihren lieben Ratten und den heftigen Bulleneinsätzen in der Oranienstraße schwärmt. Dazwischen sitzen immer wieder drei Türken im Bild und erzählen, warum sie das SO 36 nach der ersten Pleite (1979) übernommen haben: Man wollte einen Laden, in dem sich Hausbesetzer und ihre türkischen Nachbarn besser kennenlernen sollten. Dazu fällt Burkhard Sailer vom Zensor eine Geschichte über Throbbing Gristle ein: Als die Band zum Soundcheck ins SO kam, wurde dort gerade Beschneidung gefeiert.
Auf die Frage, wie es wirklich war, antwortet der Film mit holterdipolter zusammengemischten Live-Bildern. Üble Saxophonspieler wechseln sich mit schlechten Gitarristen ab, meistens schreit ein kurzgeschorener junger Mann dadaistische Texte ins Publikum. Eine Art Prä-Slam-Poetry, mit Krach unterlegt. Die meisten Gigs enden in Dosenbierschlachten. Trotzdem ist die Wirkung der Aufnahmen verblüffend dicht am Gegenstand: Alles spielt im Plusquamperfekt, selbst die Interviewpassagen wurden bereits vor 14 Jahren aufgenommen, als das SO 36 aufgrund von Lärmbestimmungen geschlossen werden mußte. Dadurch wirkt jede noch so betrunkene Reflexion ebenso spontan wie historisch abgehangen, wenn nicht sedimentiert – ein Ready-made aus authentischem Material. Weil die Erinnerung für alle Beteiligten kaum zwei Jahre zurückreicht, hört man viele enttäuschte Kommentare, aber keine Sentimentalität. Im Grunde fand niemand Berliner Bands richtig gut, nicht einmal der hauseigene Konzertveranstalter. Eine Wahl hatte er trotzdem nicht: „München ist noch trostloser“. Harald Fricke
Bis 26. 11. im Kino 2 in der Brotfabrik, Wisbyer Straße 3
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