■ Vorschlag: 1 + 1 = 3 in der Neuköllner Oper
Die 20er Jahre erscheinen in immer verklärterem Schimmer. Dabei gehörte zu ihrer kompromißlosen Aufbruchstimmung der Haß auf alles Althergebrachte. In der Neuköllner Oper ist die radikal modernistische Ästhetik wieder erlebbar: Mit Studenten der Hanns- Eisler-Musikhochschule hat das Theater zwei Einakter aus der Pariser Zeit des tschechischen Komponisten Boleslav Martin°u wiederentdeckt. Die Kurzopern sind ein verblüffender Extrakt des Lebensgefühls der Avantgarde: Begeisterung für Technik, Sport, Jazz und Psychoanalyse, verbunden mit Kritik an der bürgerlichen Moral.
Phantasievoll und dicht ist der zweite Teil des Abends. „Die Tränen des Messers“ (1928) ist erstmals in Deutschland zu sehen. In dem symbolschweren Libretto des Futuristen Georges Ribemont- Dessaignes versucht Eleonore durch die Liebe zu einem Erhängten, der Hochzeit mit Satan (Martin Schubach) zu entgehen. Doch der Böse steckt maskiert in allen Männern. Die Aufspaltung der Personen wird hier deutlich mit Freuds Hysterie-Studien in Verbindung gebracht; eine zweite Eleonore liegt stumm auf der Couch. Regisseur Christian von Götz fügt als dritte noch ein traumatisiertes kleines Mädchen hinzu. Lilia Milek entfaltet erst jetzt die ganze glitzernde Schönheit ihres metallischen Soprans. Martin°us aufregende Musik kombiniert Jazz mit klassischen Kompositionstechniken, zitiert Tango und Foxtrott. Eine phantastische Exkursion in die Geistesgeschichte: zurück in den Futurismus! Miriam Hoffmeyer
Bis 2.8., täglich 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131-133
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen