■ Vorschlag: La Dolce Helen Vita wird 70 – eine Hommage im Wintergarten Varieté
1945 stand sie zum ersten Male auf einer Bühne: In Genf spielte sie in Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“ – und danach noch über 200mal in Paris. Heute nacht feiert sie ihr 53jähriges Bühnenjubiläum und ihren 70. Geburtstag. Was in diesem halben Jahrhundert Schauspielerinnen- und Diseusendasein liegt, ist eigentlich kaum unter einen Hut zu kriegen. Einerseits die große Aktrice, die unter Bert Brecht in der Uraufführung von „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ spielt, mit Gustav Knuth „Peer Gynt“ und „Liliom“ mit Hans Albers und als eine Art Dauerbrenner seit vielen Jahren schon die Jenny in der „Dreigroschenoper“ am Münchner Volkstheater. Auf Anraten Brechts, der ihre komische Ader entdeckte, erobert Vita das Kabarett. Sie hat in 60 Filmen u.a. mit Fassbinder und mit
Heinz Erhardt gedreht und in Bob Fosses „Cabaret“ mitgespielt. Dann aber war sie auch der „Untergang des Abendlandes“, damals in den 60ern. Da nämlich sang Helen Vita „galante und freche Chansons aus dem alten Frankreich“. Die schlüpfrigen Lieder verkauften sich prächtig und sind auch heute noch rührend-komisch.
1968 setzte sie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf den Index. Die Münchnerin mit Schweizer Paß und Zweitwohnsitz in Berlin ist aber auch die große Diseuse. Ob Brecht, Tucholsky oder Hollaender – bei ihr kommen die Chansons ziemlich salopp, geradezu schnoddrig. Doch diese Lässigkeit ist keineswegs oberflächlich. Ihre Präsenz ist ihr Faustpfand, mit dem sie jedes Publikum kriegt. Ihre Erfahrung, im Leben wie auf der Bühne, liefert den Rest. Was so ungekünstelt daherkommt, ist in Wirklichkeit präzise, voll Understatement und Eleganz, versteckter Ironie und feinem Humor. Zu hören ist das auf ihrer neuen CD „Die Alte singt ja immer noch“ (Viellieb Records), einem Live-Mitschnitt aus der Bar jeder Vernunft, am Piano Frank Golischewski, ihrer ersten Plattenveröffentlichung seit 25 Jahren. Und live heute abend auf der Geburtstagsgala im Wintergarten. Moderiert vom Schauspieler Hans-Jürgen Schatz, werden als Gratulanten unter anderem Ulla Meinecke, Evelyn Künnecke, Gisela May, Max Raabe, Brigitte Mira und Robert Kreis erwartet. Und Vita selbst wird wohl auch an ihrer eigenen Hommage nicht von der Bühne gehen können, ohne „Stroganoff“ und „Circe“ gesungen zu haben. Axel Schock
Heute und morgen, jeweils 23 Uhr im Wintergarten Varieté
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