Vorratsdatenspeicherung bei Sozialen Netzen: Briten wollen Facebook überwachen
Immer mehr Kommunikation wandert in soziale Netzwerke. Und so will das britische Innenministerium nun Facebook in die Vorratsdaten-Speicherung einbeziehen. Auch Inhalte wären unsicher.
BERLIN taz Anfang März veröffentlichte das Online-Marktforschungsunternehmen Nielsen eine interessante Statistik: Demnach verbringen inzwischen 67 Prozent aller Online-Nutzer Zeit in sozialen Netzwerken, auf Weblog-Angeboten und in anderen Web 2.0-Diensten. Das erstaunliche dabei: E-Mail, die Urkommunikationsform im Netz, ist inzwischen auf 65,1 Prozent abgerutscht.
Unternehmer wie der Amerikaner David Sacks, der eine Art Twitter für Geschäftsleute geschaffen hat, nennen die Social Networks inzwischen "die neue elektronische Post". So sind besonders Jugendliche immer häufiger am besten über ihr Profil auf MySpace, Facebook und Co. zu erreichen, über das sie auch ihre Kommunikation direkt abwickeln. Schnelle Messaging-Dienste finden sich in nahezu jedem dieser Angebote, mit denen Textbotschaften, Bilder und sogar Videos untereinander ausgetauscht werden können. Der Informationsaustausch auf solchen Plattformen wächst stark.
Da ist es kein Wunder, dass sich nun auch staatliche Stellen vermehrt für soziale Netzwerke interessieren. Innenpolitiker und Sicherheitspezialisten haben dort eine Lücke entdeckt, die durch aktuelle Maßnahmen im Kampf gegen Gauner und schlimmere Gefahren offenbar nicht abgedeckt sind. Den ersten Vorstoß in Richtung gezielter Überwachung der in Social Networks ablaufenden Kommunikation haben nun britische Politiker gemacht.
Laut einem Bericht der BBC gibt es im Londoner Innenministerium Pläne die Anbieter künftig zur dauerhaften Speicherung der Kommunikationsverbindung zu zwingen. Allein in Großbritannien nehmen inzwischen viele Millionen Menschen an Angeboten wie Facebook, Bebo oder MySpace teil. Ergo: Man sieht sich einer Kommunikationsrevolution gegenüber, die vor einigen Jahren nicht absehbar war.
Noch geht es den britischen Behörden bei ihren Großspeicherplänen für die sozialen Netzwerke, die entsprechende Regelungen der Europäischen Union deutlich übertreffen könnten, nicht um die Inhalte der Kommunikation, sondern allein darum, wer wann mit wem und wie lange Kontakt hatte. So stellt sich die Lage auch bei der inzwischen in Deutschland und anderen europäischen Ländern in Kraft gesetzten Vorratsdatenspeicherung dar, die neben Telefonaten auch E-Mails und Internet-Nutzungsvorgänge sechs Monate lang umfasst.
Doch allein schon das Vorhalten dieser so genannten Verkehrsdaten kann einen massiven Eingriff in die Privatsphäre darstellen, macht sich ein Nutzer so doch beispielsweise möglicherweise schon verdächtig, wenn er mit einem Beschuldigten aus völlig harmlosen Motiven kommuniziert hat. Ist eine Person dann auf dem "Radar" der Ermittler, könnten diese nach Rücksprache mit einem Ermittlungsrichter zur Komplettüberwachung samt Inhalten übergehen. So etwa beim Provider, über den alle Kommunikationsvorgänge laufen.
Sollte die Vorratsdatenspeicherung demnächst tatsächlich auch die sozialen Netzwerke umfassen, dürfte das deren Image weiteren Schaden zufügen - schon jetzt gelten sie nicht als große Privatsphärenschützer. So nennt mancher Datenschutzaktivist das erfolgreiche deutsche Studentennetz "StudiVZ" "SchnüffelVZ", weil dort auf den Nutzer zugeschnittene Werbung erscheint.
Facebook kämpfte wiederum bereits mehrfach mit Datenschutzskandalen, darunter einer von vielen Nutzern unerwünschten Weitergabe ihrer Aktivitäten auf anderen Websites an das soziale Netz. Noch haben sich die Social Networking-Anbieter zu den britischen Plänen nicht genau positioniert.
Facebook-Chefdatenschützer Chris Kelly sagte laut dem britischen Independent jedoch, er halte solche Ideen grundsätzlich für einen "Overkill". Beim britischen Innenministerium sieht man die Ausdehnung der Überwachung jedoch als schlichte Notwendigkeit an: Man müsse mit den technischen Möglichkeiten mithalten, um gegen Terror und Kriminalität vorgehen zu können, sagte ein Sprecher.
Das britische Innenministeriuem betonte erneut, das man sich nicht für Inhalte, sondern nur für Verbindungen interessiere. Doch genau dafür sind soziale Netzwerke ja bekannt. Sie könnten eine Fundgrube für Ermittler werden.
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