■ Vorlesungskritik: Günter Tembrock: Rendezvous mit Tieren
Merkwürdige Schreie gellen durch den eichegetäfelten Vortragssaal des Berliner Volksbildungshauses Urania. Ein Eichenbock quietscht, ein amerikanischer Ochsenfrosch quakt. Ein Rabe, ein Schwein, ein Affe und eine Sopranistin folgen. Es ist eine aufsteigende Linie der Evolution, die der Verhaltensbiologe Günter Tembrock hier vorführt. Sein Tierstimmenarchiv, das er seit 1951 an der Berliner Humboldt-Universität aufgebaut hat, umfaßt 300.000 Aufnahmen von 4.000 verschiedenen Arten.
Seit er sich 1937 an der damaligen Friedrich-Wilhelm-Universität einschrieb, hat Tembrock die Hochschule nicht mehr verlassen. In seine Tierstimmen vertieft, überstand er dort alle politischen Systeme. Der Nationalsozialismus, die DDR, der Westen – sie gingen und kamen, doch Tembrock blieb. Seine Forschungen über den Rotfuchs machten ihn in den fünfziger Jahren zu einem der Gründerväter der Verhaltensforschung im Nachkriegsdeutschland. Nach der Emeritierung 1983 begann seine zweite Karriere als Popularisierer seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse. Seine Sendung „Rendezvous mit Tieren“ machte ihn zum Grzimek des DDR-Fernsehens.
Trotzdem kann es Tembrock noch immer ernsthaft beleidigen, wenn ein Affenschrei im Auditorium Gelächter auslöst. „Da kann man nicht lachen“, sagt er, „das ist komplexer.“ Während Tembrock am Zirpen des Wendehalses die „Präzision in der Stimmgebung“ bewundert, ist das Publikum eher vom Namen des Vogels betört. Auch den fast erotischen Reiz, den Schaubilder mit Frequenzanalysen auf Tembrock ausüben, kann das ungeübte Auge kaum nachvollziehen. Doch machen sie die These des Forschers anschaulich, der Ortolan habe dem noch hörenden Beethoven das Schicksalsmotiv seiner Fünften Sinfonie ins akustische Gedächtnis gemeißelt.
Von den Fragen, die er zu Beginn des Vortrags „in den Weg gesetzt“ hat, beantwortet Tembrock nur wenige. „Wie die Stimme in die Welt gekommen ist“, darauf hat die Wissenschaft noch keine schlüssige Antwort. Sicher ist immerhin, daß sie jünger ist als das Gehör. Für kulturgeschichtliche Fragen fühlt sich Tembrock ohnehin nicht zuständig, sein Gebiet ist die biologische Seite der Stimme. Ob eine Aufnahme von „zwei adulten Primaten-Weibchen im sozialen Kontext“ stammt oder „vom Homo“, macht da keinen prinzipiellen Unterschied.
Für die genetischen Grundlagen des Stimmapparats gilt hier wie dort das Grundgesetz der Evolution: Männliche Brunftlaute überleben nur, wenn die Weibchen sie goutieren. Der 79jährige Forscher, der das Publikum bisweilen mit Kostproben seines geschulten Baritons betört, erliegt den Lockrufen der Tierstimmen noch immer. In ihnen hat der Bildungsbürger, wie er in Goethes Worten sagt, das „Doppelglück der Töne und der Liebe“ gefunden. Ralph Bollmann
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